Spionin in High Heels
mein kleiner Blumenkasten vor dem Fenster geradezu rührend wirkte. Auf dem Rasen waren drei Klapptische mit bunten Tischdecken aufgebaut, beladen mit duftenden Tamales, Chili und Empanadas. Drumherum standen unterschiedliche Stühle und Bänke. Zwischen den hohen Eichen hingen Lichterketten, und eine arg mitgenommene Piñata schwang an einem der niedrigeren Äste. Darunter saß eine Gruppe dunkelhaariger Kinder, aus deren Mündern Lutscherstiele herausguckten.
»Onkel Jack«, rief eines von ihnen und rannte auf Ramirez zu. Zwei kleine Mädchen folgten seinem Beispiel, und bald hatte Ramirez an beiden Beinen Teppichratten mit klebrigen Fingern.
Jetzt war es an mir zu feixen. Ramirez war also »Onkel Jack«. Unvorstellba r – der böse Cop als lieber Onkel. Doch als eine seiner Nichten sein weißes Hemd mit einem schokoladigen Handabdruck verzierte, wollte ich meinen Augen nicht traue n – er verzog keine Miene.
Mama erschien mit einem weiteren Tablett Tamales und setzte sich auf eine der Bänke. Das schien das Signal zu sein, denn auf einmal wimmelte es von Menschen. BillieJo und drei weitere junge Frauen kamen durch die Schiebeglastüren, gefolgt von dem Mann, den ich schlafend im Fernsehsessel gesehen hatte. Dann bogen zwei Männer um die Ecke, beide mit einer nicht zu übersehenden Ähnlichkeit mit Ramirez, auch wenn der eine ein wenig pummeliger war und der andere das dunkle Haar zu einem Pferdeschwanz im Nacken gebunden trug.
Mama drückte mir mit der Aufforderung: »Essen Sie, essen Sie!« einen Teller in die Hand, und unter ihrem wachsamen Auge häufte ich mir, aus Angst, ich könnte sie beleidigen, von allem etwas auf den Teller. (Mein Aufzug, fand ich, war für einen Abend Beleidigung genug gewesen.)
Nachdem wir uns gesetzt hatten, um zu essen, kamen zwei weitere Männer aus dem Haus, die Gitarren um die Schultern hängen hatten, stürzten sich auf das Essen und stimmten lachend und redend in das laute Stimmengewirr mit ein, das mich umgab.
Möglicherweise habe ich bereits erwähnt, dass meine Großmutter irisch-katholisch ist. Bevor mein Großvater seine Fahrkarte für eine einfache Fahrt durch Petrus’ Tor gelöst hatte, haben wir Weihnachten immer bei ihnen zu Hause verbracht. Alle meine sieben Tanten und Onkel, alle neunzehn Cousins und Cousinen und ihre unzähligen süßen Kleinen rannten in karierten Weihnachtskleidern und mit winzigen roten Fliegen durch das Haus. Große Familien sind mir also nichts Fremdes. Aber noch nie in meinem Leben hatte ich Menschen kennengelernt, die so laut sprechen und so viel essen konnten, und das gleichzeitig. Ich war voller Bewunderung.
Und wenn ich gehofft hatte, ich könnte mich im Hintergrund halten, wurde ich bitter enttäuscht. Mama zog mich neben sich auf die Bank und stellte mich jedem einzelnen der anwesenden Familienmitglieder vor. Ich lernte Ramirez’ Brüder Bart, Dillon, Marshal und Clint kennen. Bei BillyJo saßen Clints Frau Amelia, Barts Frau Maria, Cousine Mary Jane und Cousin José. Ich war mir sicher, dass ich mir die Namen der ungefähr zehn Nichten und Neffen noch nicht einmal bis zum Dessert würde merken können.
Zwar war es bald beinahe so laut wie im Mulligan’s beim Karaoke, aber aus irgendeinem Grunde fühlte ich mich nicht verloren. Ihr Lärm hatte eigentlich sogar etwas Tröstliches. Wie eine warme Decke, die mich vor dem Rest der Welt mit ihren Problemen schützte. Für eine halbe Sekunde vergaß ich alles, was heute passiert war, und begann mich zu entspannen, als mir Mama eine zweite Portion auf den Teller schaufelte.
»Ich mag es gern, wenn Frauen tüchtig essen«, sagte sie beifällig, als ich zulangte. »Die jungen Frauen heutzutage sind zu dünn. Nicht wie Sie. Sie haben richtig Fleisch auf den Rippen.«
Ich hielt inne, die Gabel mit einem Stück Empanada auf halbem Wege zu meinem Mund. Vielleicht hätte ich doch bei zwei Stück Schluss machen sollen. »Danke!«, sagte ich unsicher.
»Aber mein Jackie mag kurvige Frauen.«
Jackie? Wie süß. Ich sah über den Tisch hinweg zu Ramirez, der mit einer Hand Enchiladas aß und mit der anderen ein Kleinkind in rosa Rüschen auf den Knien hielt.
»Darf ich Ihnen einen Frage stellen, Mrs Ramirez?«
»Nennen Sie mich Mama. Alle nennen mich Mama.«
»Oka y … « Ich zögerte. »Mama.« Irgendwie war es komisch, die Mutter eines anderen »Mama« zu nennen. Vor allem, wenn diese Mutter fälschlicherweise glaubte, ich würde mit ihrem Sohn ausgehen. Aber ich konnte ihr wohl
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