Spittelmarkt
ist tatsächlich zu Filmaufnahmen nach Hollywood gereist und nur am Rande mit uns verbunden.«
»Dann wusste er immerhin, dass er eine kleine Nebenrolle spielte! Ich wusste es nicht! Was war meine?«
»Das können Sie sich doch denken. Sie waren unser Zugang zu Florence Arnheim. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich Sie damals ein wenig zum Narren hielt; aber ich wusste noch nicht, ob Sie ein Mitspieler oder ein Spielverderber sein würden.«
Sie seufzte. »Trotz aller Mühen, die wir uns gegeben haben, hat sich unsere Tarnung als nicht ausreichend erwiesen. Wolfrath, den man auf Sie ansetzte, um Sie zu warnen, hat Irene gesehen und Verdacht geschöpft. Sie ist eben einfach viel zu schön. Auf der anderen Seite ist ihre Schönheit natürlich einer ihrer größten Vorzüge. Selbstverständlich verfügt sie auch über weitere Fähigkeiten – vor allem über einen großen Mut. Auf Irene konnten wir am allerwenigsten verzichten.«
»Warum ließ man Florence Arnheim nicht ihres Weges gehen? Wenn Sie jedem Abtrünnigen in der Weise nachsetzen wollten, wie Sie es mit Florence taten, würden die ›Brüder und Schwestern‹ schnell ein finanzielles Problem bekommen – von allen anderen denkbaren Problemen ganz zu schweigen.«
Frau von Tryska blickte mich eine Weile nachdenklich an. »Wäre Florence Arnheim nur ein einfaches Mitglied gewesen, hätten Sie recht«, sagte sie. »Mein Gott, Reisende soll man bekanntlich nicht aufhalten! Wir sind nicht rachsüchtig. Doch Florence war ein Mensch, der wie nur wenige über uns und unsere Ziele Bescheid wusste! Sie gehörte zu dem inneren Kreis unserer Organisation – und hat dennoch die Seiten gewechselt. Sie besaß Verbindungen zu einflussreichen politischen Kreisen in den Vereinigten Staaten, zu Leuten, die auf sie hörten; das war uns bekannt. Mit ihren Kontakten war sie ernsthaft in der Lage, uns zu schaden. Es blieb uns keine andere Wahl, als etwas dagegen zu tun. Was nichts anderes hieß, als sie an die Verpflichtungen zu erinnern, die sie uns gegenüber eingegangen ist.«
»Das haben Sie nett ausgedrückt. Florence hat sich demnach von Irene überzeugen lassen, Selbstmord zu begehen?«
Sie lächelte. »Auch nicht schlecht gesagt. Ja! Ich widerspreche Ihnen nicht. Irene hat ihre Aufgabe gemeinsam mit ihrem Bruder in vorbildlicher Weise erfüllt.«
»Florence konnten Sie ihr Ende schmackhaft machen; Professor Wolfrath hatte dagegen einen weniger angenehmen Tod. Mit Überzeugungsarbeit war bei ihm sicher nichts auszurichten. Wer hat seinen Selbstmord bewerkstelligt? Waren das auch Irene und Roland? Oder haben Sie selbst mit Hand angelegt?«
Sie machte eine abwinkende Bewegung. »Ich möchte über diese Details nicht mit Ihnen sprechen! Was tut das überhaupt zur Sache! Es ist schon lange her und passierte in einer anderen Zeit.«
Obwohl ich geahnt hatte, dass mit den beiden Selbstmorden etwas nicht stimmte, war ich doch insgeheim entsetzt, diese Vermutung so ungeschminkt aus dem Munde dieser Frau, der ich früher ganz unbefangen vertraut hatte, bestätigt zu bekommen. Ich musste große Mühe darauf verwenden, mir meine Erschütterung nicht anmerken zu lassen.
»Der Mann, den die Vorsehung auserkoren hat, unsere Ziele in die Tat umzusetzen, ist vor wenigen Wochen deutscher Reichskanzler geworden«, sagte Frau von Tryska. »Dass er es wurde, stand lange Zeit nicht fest. Und bisher ist nicht mehr als der erste Schritt getan. Um die vor uns liegende Arbeit zu bewältigen, müssen unsere Reihen geschlossen sein; sonst werden wir scheitern. Wer sich gegen uns stellt, den werden wir bekämpfen. Aber wer zu uns gehören will, der kann in einer Zeit wie der unsrigen nicht die Freiheit für sich in Anspruch nehmen, zu tun und zu lassen, was er will.«
Während sie sprach, hatten ihre Augen einen leuchtenden Glanz bekommen. In ihrem sonst so harmlos wie gewöhnlich anmutenden Gesicht wurde plötzlich etwas von dem sichtbar, das sie im Geheimen antreiben und inspirieren mochte; etwas, das stark genug war, um sie nicht davor zurückschrecken zu lassen, Mitglied einer Mörderbande zu sein.
»Freiheit ist etwas anderes, als die Unwissenden glauben«, fügte Frau von Tryska hinzu. »Was die Leute Freiheit nennen, ist ohnehin lediglich Haltlosigkeit. An nichts und niemanden gebunden zu sein, beinhaltet bloß eine armselig leere und sinnlose Existenz.«
Draußen war es dämmrig, fast dunkel geworden. Hinten am Horizont waren trügerische Lichter zu erkennen. Würde ich jemals
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