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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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Ich habe einen Bruder – der ist mir Familie genug.«
    »Ich habe eine Schwester. Aber wir sehen uns nur selten.«
    »Erzählen Sie mir von ihr!«
    »Ach, nein«, wehrte ich ab, denn mir war nicht danach, das Gespräch auf meine Schwester Doris zu lenken. »Kommen Sie lieber mit mir aufs Parkett. Wir sind doch bereits ein erprobtes Paar.«
    Es war wundervoll, sie in den Armen zu halten, ihre Haut zu berühren, ihren herrlichen Duft und die warme, pulsierende Energie ihres hinreißenden und in jeder Hinsicht perfekten Körpers zu spüren. Es gefiel mir, wie schnell wir zurück in vertraute Schritte fanden, und erst jetzt, während wir uns wie von selbst über das schimmernde Tanzparkett bewegten, erkannte ich geradezu mit Schmerzen, wie sehr mir diese Nähe gefehlt hatte. Plötzlich konnte ich kaum noch verstehen, wie ich ohne sie hatte existieren können.
    Als wir nach mehreren Tanznummern dem Parkett den Rücken kehrten, stand ein gut gekleideter Mann von ungefähr 50 Jahren neben unserem Tisch. Seine Erscheinung entsprach nahezu vollständig dem Klischee, das ich mir in meiner Vorstellung von einem Barbesitzer in Manhattan gemacht hatte. Er war ein Mann von scharfen, nicht unattraktiven Gesichtszügen, dunkel gebräunter Haut, tief liegenden Augen und einer Römernase; das Haar blauschwarz, wellig, grau an den Schläfen und noch voll. Sein sanftes Lächeln passte nicht wirklich zu seinen harten Augen und er hatte etwas an sich, das mir instinktiv sagte, dass es bestimmt viele Frauen gab, die ihn anziehend fänden.
    »Ich bin Frank Shannon«, stellt sich der Mann vor. »Wie ich gerade zu meiner Freude sehen konnte, ist es Ihnen nicht langweilig geworden, während Sie auf mich warten mussten. Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
    Mittlerweile war ich darauf vorbereitet, dass die meisten Leute bei Irenes Anblick mehr oder weniger die Fassung verloren, aber Shannon hatte sich gut im Griff.
    »Ich bin entzückt, Sie beide kennenzulernen«, verkündete er, nachdem wir uns ihm vorgestellt und zusammen wieder Platz genommen hatten. »Wir Amerikaner sprechen einander gern mit dem Vornamen an. Wenn Sie möchten, nennen Sie mich Frank!«
    Irene begegnete seinem Blick mit einem aparten Augenaufschlag. »Das ist nett! Ich bin Irene.« Sie sprach ihren Vornamen in englischer Tonart aus.
    »Irene«, ließ er sich den Namen auf der Zunge zergehen, »Sie sind mit Mr. Goltz befreundet?«
    Sie schickte ein Lächeln in meine Richtung. »Wir sind uns auf dem Schiff begegnet und haben uns dort verabredet, gemeinsam New York zu erkunden – oder zumindest das, was man an ein oder zwei Tagen davon erkunden kann.«
    Shannon legte die Hand auf ihr Handgelenk und winkte mit der anderen dem Kellner, der mit der Champagnerflasche in Rufbereitschaft stand und unsere Gläser auffüllte.
    »Cheers, Irene! Cheers, Eugen!« Er hob sein Glas. »Auf Ihren Aufenthalt in New York! Auf unvergessliche Tage in unserer großen Stadt!«
    »Einen echten New Yorker Barbesitzer kennenzulernen, ist ein ganz besonderes Vergnügen für mich«, sagte Irene so freundlich und charmant, wie es ihrer unangestrengten Ausstrahlung entsprach. »Erst hier – an einem Ort wie diesem – habe ich das Gefühl, dass ich wirklich in New York angekommen bin.«
    Ihr Englisch war nicht perfekt, doch überraschend gut.
    »Sie bringen Glanz in mein bescheidenes Lokal, Irene«, antwortete Shannon. »Sehen Sie, wie alle Leute, die am Tisch vorübergehen, auf Sie blicken? Bestimmt ist das für Sie Alltag; wahrscheinlich bemerken Sie es gar nicht mehr! Mancher Gast kommt aus der Provinz zu uns und wenn er wieder zu Hause in Kentucky oder Illinois ist, wird er zu erzählen haben, wie selten schön die New Yorker Frauen sind. Was tun Sie in Deutschland?«
    »Ich trete in Varietés auf. Ich bin Artistin.«
    »Artistin! Ich bin entzückt.«
    Frank Shannon hatte über die Maßen gewinnende und lächelnde Züge und verstand sich darauf, Frauen zu bezaubern. »Aber was sonst hätten Sie auch sein sollen! Jetzt wundert es mich nicht mehr, dass Sie sich hier bei mir wie zu Hause fühlen. Wir sind demzufolge so etwas wie Berufskollegen. Wo treten Sie auf – in Berlin?«
    Irene nickte. »Ja. In Berliner Klubs; die Namen der Klubs werden Ihnen allerdings nichts sagen.«
    Er nickte beifällig. »Ich habe schon viel Interessantes über die Berliner Nachtklubs gehört, von den schönen Frauen, die in reizenden Kostümen auftreten. Meine Liebe, Sie haben mich restlos davon überzeugt, dass die

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