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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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wertvoller ist der Film. Ein Hoch auf die Zensur, denn sie macht solche Kunstwerke erst möglich.«
    Shannon starrte sie an. »Das ist ja wohl so ziemlich das Verrückteste, was ich in letzter Zeit gehört habe!«, sagte er. »Und Sie sind sich wirklich sicher, dass der Regisseur Sie nicht einfach nur um Ihre Gage betrügen will? Ein realistischer tödlicher Abgang vom Trapez wäre eine lohnende Szene, um Sie gekonnt loszuwerden.«
    Irene lächelte. »Das Netz fehlt nur in der Einstellung, in der uns die Turnnummer auch gelingt. Ich werde diesen Filmleuten gewiss nicht den Gefallen tun und in die Tiefe stürzen – ich bin Profi.«
    Shannon lächelte stumm, doch es war zu erkennen, dass Irenes freimütige Art ihm Unruhe bereitete. Mir selbst ging es natürlich kein bisschen anders.
    »Wer ist denn Ihr Partner?«, forschte Shannon weiter.
    »Ein guter Artist und ein schöner Mann. Wir werden viel Freude miteinander haben!«
    Shannon starrte sie an. Ihre unverblümte Offenheit – ganz egal, an welche Freude sie gerade dachte – verschlug ihm für den Moment die Sprache.
    »Was denkbar ist, das ist auch möglich«, sprach er nach einer Weile rätselhaft und griff zu seinem Glas. »Also gut! Trinken wir auf das gute Gelingen Ihrer Filmaufnahmen und darauf, dass Sie viel Freude dabei haben werden!«
    Als er sein Glas wieder abgesetzt hatte, wandte er abrupt den Kopf zu mir herum. »Ihre überaus reizende Freundin hätte mich beinahe den Grund für unser Treffen vergessen lassen«, sagte er, »ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel.«
    Ich erklärte: »Ich habe selbst schon nicht mehr daran gedacht.«
    »Da bin ich erleichtert«, sagte er und versenkte den Blick in seinem Glas. »Nun also zu unserer Sache! Warburg, mit dem ich telefonierte, hat seine Bedenken gegen ein Treffen zwischen Florence und Ihnen zurückgestellt. Und ich stimme ihm grundsätzlich zu. Es lässt sich da etwas arrangieren!«
    Er beugte sich etwas vor. »Ich möchte Sie – Sie beide – für den morgigen Abend zu einer Party in meiner Wohnung einladen.« Er fixierte zuerst mich und dann Irene mit seinem dunkelblauen Blick. »Es ist eine ziemlich große Gesellschaft und auch Florence wird anwesend sein.« Er konzentrierte die Augen auf Irene. »Da Sie uns bereits übermorgen Abend wieder verlassen wollen, meine schöne Freundin, wie ich hoffentlich sagen darf, gilt meine Einladung in ganz besonderer Weise Ihnen! Sie werden zwar nicht die einzige begehrenswerte Dame auf der Feier sein, aber ganz gewiss die Schönste. Ich rechne fest mit Ihnen! Ihr Auftritt wird mein Ansehen bei meinen Konkurrenten gewaltig erhöhen.«
    »Danke. Sehr schmeichelhaft«, sagte Irene lächelnd und hielt ihm ihr herrliches Gesicht entgegen; es versetzte mir einen Stich zu sehen, wie offen und beinahe schamlos ihr freier Blick auf ihn gerichtet war. »Ich nehme Ihre Einladung natürlich gern an.«
    »Wunderbar! Ich freue mich darauf, Sie meinen Gästen vorstellen zu dürfen«, erwiderte Shannon. »Das Apartmenthaus, in dem die Party stattfindet, liegt auf der Westseite des Central Park. Ich werde Ihnen die Adresse aufschreiben.« Er zog Stift und Zettel aus seiner Jackentasche hervor, schrieb etwas, reichte den Zettel nicht ihr, sondern mir. »Es ist im 18. Stock; drücken Sie unten im Eingang auf den Klingelknopf. Ein Lift wird Sie hinaufbefördern. Ab neun Uhr!«
    Er winkte dem Kellner, ließ Champagner nachschenken und erzählte einen Witz, der ziemlich anzüglich war. Wie sich im Laufe des Abends zeigte, verfügte er über ein ziemlich großes Repertoire an Anekdoten. Irene, die lachte und ihm schöne Augen machte, nahm keinerlei Anstoß daran.
    Shannon wirkte beinahe, als ob er von Irene verzaubert worden wäre. Allerdings fiel mir auf, dass er keineswegs völlig hypnotisiert von ihr war. Er ließ vielmehr seine Umgebung nie ganz aus den Augen, und das auf eine Art, als sei er darauf gefasst, dass jeden Augenblick eine Katastrophe über das Lokal hereinbrechen könne. Ich war mir daher sicher, dass der Mann in seinen Augenwinkeln ein genaues und vollständiges Bild seiner Umgebung besaß und ihm nichts entgehen konnte, was um ihn herum geschah. Es schien eine nicht aus der Angst, sondern aus einem gesunden Lebensinstinkt heraus geborene Vorsichtsmaßnahme zu sein, eine Routine, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war.
    »Es ist Zeit für mich zu gehen«, sagte Irene schließlich. »Ich merke plötzlich, wie müde ich doch bin.«
    Shannon zündete sich eine

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