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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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am Straßenrand zu warten, und stieg aus dem Wagen, um nach Irene Ausschau zu halten. Ich war etwas zu früh und hatte mich auf eine längere Wartezeit eingerichtet, doch es dauerte kaum fünf Minuten, bis ich die Schöne im Schein der Straßenlampe, genau an der Stelle, wo sie mir in der Nacht zuvor entschwunden war, wieder auftauchen sah.
    Sie trug schwarze spitze Schuhe und ihren leichten Mantel, der ihre langen Beine nicht ganz bis zu den Knien hinab bedeckte. Das kastanienfarbene Haar über ihrem nackten Schwanenhals war zu einem Knoten hochgesteckt. Sex drang aus jeder Pore ihrer zwischen den Kragenspiegeln seidenzart schimmernden Haut. So eng und geschmeidig, wie der weiche Mantel ihre schmale Gestalt umschloss, sah es beinahe aus, als hätte sie darunter nichts an.
    »Hallo, da bin ich«, sagte sie mit einem Lächeln und ging mit mir zum Taxi, wo sie sich neben mir in das Polster fallen lies. Der Fahrer gab Gas und der Wagen rollte an.
    »Schön, dass Sie mich begleiten«, gab ich mit rauer Stimme zur Antwort, von ihrer sinnlichen Ausstrahlung ganz überwältigt und wie gebannt. »Haben Sie sich gut erholt?«
    »Ganz prima«, gab sie zurück. »Ich habe mich mit Yoga und Meditation entspannt.«
    »Ist das nicht anstrengend?«
    »I wo! Inzwischen möchte ich das gar nicht mehr missen.«
    »So bleiben Sie also gut in Form?«
    Sie lächelte. »Es ist ein wundervolles Gefühl. Ich bedaure die Leute, die ihren Körper verkommen lassen. Und Sie? Womit haben Sie sich den Tag über beschäftigt?«
    »Ich habe mir wieder einen Film angeschaut, einen Horrorfilm mit Boris Karloff in einem Kino ganz in der Nähe.«
    »Boris Karloff ist ein toller Schauspieler«, sagte sie. »Ich würde ihm gern einmal begegnen.«
    »Vielleicht läuft er Ihnen ja in Hollywood über den Weg.«
    »Ich werde meine Augen offen halten. Erzählen Sie mir vom Film!«
    Mit knappen Worten schilderte ich ihr den Inhalt von ›Frankenstein‹ und alles, was sie sonst noch darüber hören wollte.
    »Sagen Sie«, setzte ich dann hinzu, »dieser Trapezfilm – ist es Ihr erstes Engagement?«
    Sie antwortete nicht sofort. »Als ich zu Trude Hesterbergs Ensemble gehörte, hatten wir ein paar kleinere Tanzauftritte in weniger bekannten Filmen«, klärte sie mich auf. »Aber es waren kaum mehr als Statistenrollen.«
    »Trude Hesterberg, den Namen habe ich schon einmal irgendwo gehört –«
    »Sie hat damals die ›Katakombe‹ geleitet, das war ein Varieté. Wenn sie die Hauptrolle im ›Blauen Engel‹ bekommen hätte, wäre sie jetzt in aller Munde. Mann hatte seiner Freundin die Rolle der Lola ja auch zugedacht. Allerdings war der Regisseur da anderer Meinung.«
    Der Fahrer steuerte den Wagen Richtung Straßenrand und stoppte ihn vor einer Durchfahrt, die ein schmiedeeisernes Gitter verschloss. Dahinter lag ein mächtiges Apartmentgebäude, das mich mit seinen Türmchen und Erkern unter dem mondbeschienenen Himmel an eine alte deutsche Burg denken ließ.
    Ich bezahlte den Fahrer und wir stiegen aus dem Wagen. Die kleinere Pforte neben der Hofeinfahrt war geöffnet. Wir gelangten dahinter in einen Hof, von wo aus zwei Eingänge an gegenüberliegenden Seiten in das Innere des festungsartigen Komplexes führten.
    Es gab eine ganze Menge Wohnungen in dem zwanzigstöckigen Gebäude, doch einige davon standen wohl leer, jedenfalls trugen mehrere Klingeln kein Namensschild. Ganz oben fanden wir das Schild mit Shannons Namen, und kurz darauf gab uns ein Türsummer den Weg in ein marmornes Treppenhaus frei. Ein Lift, der ebenfalls in ein schmiedeeisernes Gitterkleid eingefasst war, brachte uns vorbei an endlos vorüberziehenden Etagen bis ins 18. Stockwerk hinauf.
    Frank Shannon öffnete uns die Tür zu seinem Refugium. Er trug einen grauen Blazer, der elegant und nicht übertrieben feierlich wirkte. Sein Blick, der mich selbst nur knapp streifte, erfasste erwartungsvoll Irene Varo, die ihrerseits mit dem stolzen und geraden Blick ihres schmalen, schönen Gesichts parierte.
    »Geben Sie mir Ihren Mantel«, sagte er, worauf sie sich zur Seite drehte, ein paar Knöpfe öffnete und langsam den Mantel von den nackten Schultern in seine Hände gleiten ließ.
    Sie war nicht nackt, sie war nackter als nackt. Nackt waren die langen Beine bis weit oberhalb der Knie, nackt waren die Schultern, die ranken Arme und der reizende Rücken, und dort, wo der anthrazitfarbene Stoff ihren wunderbaren Körper bedeckte, war das Arrangement von einer so stilsicheren

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