Spittelmarkt
hohen, schlanken Gestalt aber gleichwohl Eleganz verlieh. Und anders als die meisten anwesenden Frauen trug sie weder um den Hals noch an den Armen irgendwelchen Schmuck.
Florence sah mich jetzt auch, daraufhin ergriff ich Irenes Arm und zog sie sanft mit mir fort.
»Ich freue mich so, dass Sie kommen konnten, Eugen«, sagte Florence bei unserer Umarmung, »ach, wie schön, wieder einmal jemanden von dort drüben zu sehen; mir ist, als kämen Sie aus einer anderen Welt.«
»Heute wie vormals liegen keine Welten zwischen uns, Florence.«
Sie lächelte nur ganz knapp, dann bewegten sich ihre Pupillen, während sie sich von mir löste, einige Millimeter zur Seite und begegneten denen von Irene.
»Darf ich Ihnen meine Begleiterin vorstellen, Florence?«, sagte ich. »Irene Varo aus Berlin. Sie macht in New York Zwischenstation auf dem Weg nach Hollywood.«
Einige Augenblicke herrschte Stille. Obschon keine der Frauen ein Wort sprach, war zu spüren, dass irgendein unergründliches Einverständnis zwischen ihnen bestand, und ich hatte das komische Gefühl, als hätten die Augen der beiden Frauen eine unsichtbare, gleißende Brücke zueinander gebaut.
Irene ergänzte: »Ich lernte Herrn Goltz auf der Überfahrt kennen. Er hat sich freundlicherweise bereit erklärt, mir New York zu zeigen.«
»Oh, wie nett«, lächelte Florence, »eine Reisebekanntschaft?«
»Ja, wir sind Freunde geworden«, bestätigte Irene, was mich erfreut nicken ließ, da sie mich als Freund bezeichnet hatte.
Florence sah mich wieder an. Ihre Hohlwangigkeit, die durchaus nicht unattraktiv war, verlieh ihrer Erscheinung etwas Schmerzhaftes und Resignierendes.
»Ich sollte Sie fragen, wie es in Berlin steht, Eugen«, sagte sie, »doch es ist alles so anders geworden, ich glaube, dass es mich gar nicht mehr interessiert.«
»Berlin ist weit weg«, erwiderte ich, »obwohl ich es schade finde, dass Sie dort nicht mehr leben. Wie dem auch sei – Philipp Arnheim bat mich darum, Ihnen zu sagen, Sie möchten in mir einen Vermittler und nicht in erster Linie den Vertreter seiner Interessen sehen.«
Ihr Lächeln erstarb. »Das ist nur Geschwätz, lassen Sie sich von ihm nicht täuschen! Könnte ich Ihrer Redlichkeit nicht vertrauen, Eugen, gäbe es ohnehin niemanden aus der alten Umgebung, der mich besuchen dürfte.«
»Warum nicht, Florence? Wovor haben Sie Angst?«
Florence gab keine Antwort, sondern sah wieder zu Irene, die ihrem Blick nicht auswich. Erneut war dieses eigentümliche, von mir nicht zu ergründende Einverständnis zwischen den beiden Frauen zu spüren, und ich überlegte, ob es wohl etwas Erotisches war.
»Ich werde nicht umhin können, Ihnen Ihren neuen Freund für eine Weile zu entführen, da wir etwas unter vier Augen zu besprechen haben«, sagte Florence zu Irene. »Sie werden während seiner Abwesenheit nicht allein bleiben. Ich glaube, Mr. Shannon, der gerade kommt und den Sie ja schon kennen, wird sich Ihrer gern annehmen.«
Shannon, der uns, oder besser gesagt Irene, wahrscheinlich die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen hatte, stand bereits hinter uns, als hätte er Florence’ einladende Worte gehört.
»Ich übergebe Ihnen unsere reizende Schöne, Frank«, ließ sich Florence vernehmen, »und ich hoffe, Sie werden meinem deutschen Freund Eugen keinen Anlass dazu geben, dass er eifersüchtig auf Sie werden muss.«
»Oh, darauf würde ich mich an seiner Stelle nicht verlassen«, grinste Shannon, »aber ich weiß natürlich, was sich gegenüber unseren Gästen gehört.«
Sogleich nahm er Irene beim Arm und zog sie mit sich fort.
Nur ein paar Schritte, dann waren Florence und ich außer Hörweite der anderen Leute und standen vor einem Fenster, das von samtenen dunkelgrünen Vorhängen gerahmt war, und hinter dem das glitzernde, majestätische New York in die Nacht hinaufstieg, ein Panorama leuchtender Türme, die wie riesige Stalagmiten in die finstere sternenlose Neumondnacht ragten; gierige Lichter, gespenstische Schwärze, ein bleicher Glanz vor dem leeren Firmament.
Florence’ Gesicht war dicht vor dem meinen. Es war noch blasser geworden, falls das überhaupt möglich war; zugleich wirkte es merkwürdig erregt, und die Iris ihrer Augen schien größer geworden zu sein.
»Wer ist sie wirklich?«, hauchte sie mich an. »Sagen Sie es mir!«
Ich war überrascht und auch betroffen. »Es ist, wie ich sagte, Florence. Ich begegnete ihr auf dem Schiff. Sie reiste in Begleitung des bekannten deutschen
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