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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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sind und dort oben sonst alles in geregelten Bahnen läuft, mag es so bleiben, wie es ist.«
    »Es wird bestimmt alles in Ordnung sein, dort oben«, brummte der Alte.
    »Sie werden wissen, dass der Vermieter das Recht hat, die Wohnung regelmäßig zu besichtigen. Der Winter steht bevor – was ist mit den Öfen? Wenn der Mieter länger verreist ist, muss man ein Auge darauf haben. Man kann nicht warten, bis der Mann von seiner Reise zurückgekehrt ist.«
    »Ich habe ja den Schlüssel, um nachzusehen – falls etwas nicht stimmt.«
    »Ich schlage trotzdem vor, wir gehen einfach mal hinauf und überzeugen uns! Wenn es so ist, wie Sie sagen, berichte ich dem Hauseigentümer, dass nichts zu beanstanden war.«
    Der Alte zögerte. »Wer sind Sie eigentlich?«
    Ich nannte meinen Namen und fügte hinzu: »Ich bin Rechtsanwalt.«
    Der Alte blickte mich nun unentschlossen an und kratzte sich hinter den Ohren.
    »Können Sie sich ausweisen?«, wollte er wissen.
    Wenn man in Deutschland ein amtliches Dokument vorweisen konnte, hatte man halb gewonnen; deshalb kramte ich meinen Anwaltsausweis aus der Tasche und zeigte ihn vor. Das schien den Alten etwas zu beruhigen.
    »Ich weiß nicht«, sagte er und starrte eindringlich auf die dunkle Eingangstür, die in den Hof hinausführte, so als ob er damit rechnete, dass sie sich jeden Moment öffnete.
    Der Alte war wahrscheinlich intelligenter, als er tat, und mir ging durch den Sinn, dass es nicht ausgeschlossen war, dass ich Schwierigkeiten bekommen könnte, sollte er den Vorfall dem Hauseigentümer melden und dieser sich an die Anwaltskammer wenden. Die Gefahr mochte zwar gering sein, trotzdem war es sicher sinnvoll, dass ich mir den Alten zum Verbündeten machte. Deshalb zog ich meine Geldbörse aus der Gesäßtasche und reichte ihm einen Zehnmarkschein.
    »Das ist für Ihre Mühe!«, sagte ich leise. »Sie werden das Geld sicherlich gebrauchen können.«
    Die Züge des Alten hellten sich auf, nachdem er den Schein schnell in die Tasche gestopft hatte.
    »Meinetwegen gehen wir mal hinauf«, erwiderte er. »Könnte ja wirklich sein, dass mit dem Ofen etwas nicht stimmt. Ich hole mal den Schlüssel.«
    Ein paar Minuten später kehrte er mit einem Schlüsselbund zurück. Dann begann er gemächlich, die Stufen zu erklimmen, und ich folgte ihm langsam über mehrere Stockwerke nach oben. Es war ein besseres Haus, als es von außen den Anschein gemacht hatte, denn in jedem Stockwerk, durch das wir kamen, gab es nur zwei Wohnungen.
    Nachdem wir im Dachgeschoss angekommen waren, atmete der Alte schwer. Er schloss die Tür zu der rechts gelegenen Wohnung auf und ging voraus.
    Die Wohnung bestand aus zwei Räumen und einer winzig kleinen Küche. Der Raum, den wir vom Flur aus als ersten betreten hatten, war das Wohnzimmer, das mit einem schwarzen Ledersofa und zwei dazugehörigen Sesseln ausgestattet war, die um einen gläsernen Couchtisch herum gruppiert waren. Ein kleiner Schreibtisch, eher ein Sekretär, ein Schrank, zu dem eine Glasvitrine und ein Bücherregal gehörten, und eine Stehlampe mit grünem Samtbezug bildeten den Rest der Einrichtung.
    »Lassen Sie mich mal eine Weile allein«, wies ich den Alten an. »Sie brauchen keine Sorge zu haben. Ich rühre nichts an!«
    Wider Erwarten erhob der Alte keine Einwände, sondern sagte bloß: »Vergessen Sie aber nicht, die Tür zuzumachen, wenn Sie gehen! Ich schließe später wieder ab. Und achten Sie darauf, dass man nach Möglichkeit nicht sieht, wie Sie die Wohnung verlassen.«
    So sprach er und war gleich darauf verschwunden. Ich war allein – in einer fremden Wohnung. Es war ein komisches Gefühl.
    An der Wand über dem Sofa hing eine gerahmte Abbildung von Dürers Kupferstich ›Ritter, Tod und Teufel‹, die bekannte Zeichnung eines geharnischten Ritters mit erzenem, hartem Blick. Weitere Bilder gab es nicht.
    Ich schob die Tür zum angrenzenden Schlafzimmer auf. Ein breites Bett, große Spiegel an den Wänden und unter der Decke und ein elegant wirkender weißer Kleiderschrank, der eher einer Frau als einem Mann hätte gehören können.
    Sowie ich den Schrank öffnete, sah ich, dass neben ein paar Anzügen von der Stange Frauenkleidung hing. Es waren vor allem Kleider, Abendgarderobe, elegante und aufreizende Schnitte, wie sie nur wenige Frauen tragen konnten. Und obwohl die Frau, der diese Kleider gehörten, möglicherweise schon seit Längerem nicht mehr hier gewesen war, hing in den Falten der Gewänder ein feiner und betörender

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