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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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lang wirkte sie irritiert, aber sie hatte sich schnell wieder im Griff. Der Klang des Wortes ›Blutschande‹ hatte mich indessen unangenehm berührt, und es kam einem Sprung über den eigenen Schatten gleich, dass ich das Thema weiterverfolgte.
    »Blutschande? Nennt man nicht so den Verkehr zwischen nahen Verwandten?«
    »Wir heutigen Menschen sind so entartet, dass bereits eine Verwirrung dieser Begriffe existiert«, setzte Rudolf an, bevor Doris mir eine Antwort geben konnte. »Wir, die Angehörigen einer germanischen Religion, meinen mit Blutschande natürlich den Verkehr mit Fremdrassigen, nicht denjenigen mit nahen Verwandten! Der Verkehr von Rasseverwandten kann in diesem Sinne keine Blutschande sein – in manchen Fällen könnten selbst nahe Verwandte besonders geeignete Eltern für rassereinen Nachwuchs sein.«
    »Das ist doch abwegig«, erklärte ich. »Aus inzestuösen Verbindungen gehen oft erblich geschädigte Kinder hervor.«
    »Das ist so nicht richtig«, widersprach mir Rudolf. »Die Wahrscheinlichkeit liegt bei etwa 30 Prozent. Es kommt auf das Ausgangspaar an.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sind zwei Eltern genetisch nahe verwandt und hat ein Elternteil ein defektes Gen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass der andere Elternteil auch ein identisches defektes Gen besitzt, deutlich größer als bei nicht oder nur entfernt verwandten Eltern. Folglich erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Nachkomme zwei defekte Varianten der Erbanlage erhält und erbkrank ist, sogar dann, wenn das kranke Gen rezessiv, will sagen: verborgen, ist, und die betroffenen Individuen selbst kerngesund sind.«
    »Demnach habe ich doch recht!«
    »Nein! Denn andererseits verstärkt sich auch bei erbgesunden Paaren, bei denen keiner ein defektes Gen in sich trägt, der vorhandene positive Effekt. Wenn demzufolge die Erbanlagen rein und gut sind, werden die positiven Erbmerkmale hervorgehoben und es können besonders hervorragende Exemplare aus einer solchen Verbindung hervorgehen.«
    »Und warum existiert auf der ganzen Welt ein Inzesttabu?«
    »Aus Unkenntnis, aber auch aus Ignoranz und bösem Willen«, gab Rudolf zurück. Seine Augen waren schmal geworden und sahen nun aus wie die eines Chinesen.
    »Wenn es so unsicher ist, was dabei herauskommt, sollte man es besser von vornherein lassen.«
    »Nicht unbedingt! Eine gründliche ärztliche Untersuchung und eine Beurteilung des Stammbaums, welche Krankheiten in der Familie auftraten, ergeben zuverlässige Aufschlüsse, an denen sich ermessen lässt, ob ein verwandtes Paar zur Zeugung von Nachkommen geeignet ist oder nicht; aber man braucht eigentlich nur der eigenen Natur zu folgen. Bei Menschen ist es der Geruchssinn, der nahe Verwandte in einer Weise riechen lässt, dass keine sexuellen Gefühle aufkommen und folglich Sex zwischen ihnen zu vermeiden hilft.«
    Er lächelte. »Das sicherste Zeichen dafür, dass es sich andersherum verhält, ist daher die gegenseitige sexuelle Anziehungskraft. In Richard Wagners Oper ›Die Walküre‹ entbrennen die Zwillinge Siegmund und Sieglinde in Liebe zueinander. Sie können einander riechen. In der Vereinigung der Geschwister – Zitat: ›So blühe denn Wälsungenblut‹ – wird der Held Siegfried gezeugt.«
    Ich starrte ihn ungläubig und auch etwas angewidert an.
    »Vielleicht hätten sie sich doch besser beherrschen sollen«, sagte ich schließlich, »es kam ja letzten Endes nicht viel Gutes bei der ganzen Geschichte heraus.«
    Doris lachte plötzlich auf und erhob sich aus ihrem Sessel.
    »Der Wein ist leer«, verkündete sie. »Ich gehe eine neue Flasche aus dem Keller holen. Bis ich zurück bin, werdet ihr dieses reizende Thema hoffentlich abgeschlossen haben.«
    »Versteh mich nicht falsch, Eugen«, sagte Rudolf, nachdem Doris das Zimmer verlassen hatte. »Selbstverständlich will ich nicht den Inzest predigen, und auch unsere germanische Religion tut das nicht. Wir reden hier von Ausnahmemenschen, von einer hochstehenden Elite, wie sie den Kindern eines Pharao im alten Ägypten vergleichbar sind. Es gilt eben nur, gewisse falsche Vorstellungen, die sich in den Köpfen der Menschen breitgemacht haben, zu korrigieren.«
    »Der neue Pharao wünscht sich demgemäß keine Pharaonenkinder?«
    Rudolf lachte. »Das ist nicht mehr Bestandteil unserer Politik. Das Ganze war ein Lieblingsthema von Oskar Behrend, dem ersten Pharao, hat allerdings heute nur geringe praktische Bedeutung. Das Wesentliche – um bei der praktischen Magie

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