Spittelmarkt
hatte, musste die Zeit genutzt haben, um zu verschwinden, während sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden ganz auf das davonschreitende Paar konzentriert hatte.
Es ging ein Ruck durch die Schar der anwesenden Gäste; die Runde löste sich auf. All das geschah so schnell, dass es wirkte, als ob niemand mehr wahrhaben wollte, was gerade Ereignis gewesen war. Das Licht der Wandleuchten erglühte wieder und der ganze Spuk, der uns eine Stunde lang in fast unerträglicher Erregung gehalten hatte, war endgültig vorbei. Jemand schob die Flügeltür zu einem benachbarten Saal auf, in dem ein helleres Licht als in dem unseren brannte. Zu meiner Überraschung hielten sich darin bereits ein paar Leute auf, die ebenfalls diese Karnevalsmasken trugen. Lediglich zwei oder drei andere Leute waren nicht maskiert.
Einige von den Leuten aus dem anderen Zimmer traten bei uns ein, einige von uns wiederum wanderten hinüber, und einige Momente später wusste man schon nicht mehr, wer von den Anwesenden der merkwürdigen Einweihungszeremonie beigewohnt hatte und wer nicht. Es wurden nun auf einem Tablett Getränke, vor allem Sekt, gereicht. Ich nahm ein Glas und trank es schnell leer.
»Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen«, sprach mein Kollege Hartmann mich von der Seite an.
»Na ja, selbst machen ist besser«, erwiderte ich.
Hartmann lächelte süffisant. »Da müssen Sie durch, Goltz – das sind noch die leichtesten Prüfungen für einen Apologeten. Aber es liegt an Ihnen, ob Sie Zuschauer bleiben oder einmal ein aktivere Rolle übernehmen.«
»Mal sehen, was die Zukunft bringt. Für den Augenblick wäre ich mit einem weiteren Glas Sekt zufrieden.«
Wir tranken noch jeder eins, daraufhin gab Hartmann das Zeichen zum Aufbruch.
Auf die gleiche Art und Weise, wie wir hergekommen waren, kehrten wir in den Hof zurück, wo die schwarze Limousine mit dem Fahrer auf uns wartete. Mit verbundenen Augen ging es wieder in das Stadtzentrum, während im Fond des Wagens Schweigen herrschte.
Hinter dem Potsdamer Platz, wo der Wagen den Stadtbezirk Mitte verließ, durfte ich die Augenbinde abnehmen und sah, dass die große Stadt mit einem Mal ganz weiß und still geworden war.
18
Es war mir ganz recht, dass ich den Heiligen Abend allein mit meinen Erinnerungen verbringen musste. Ich hatte mir eine kleine Tanne gekauft, diese mit Lichtern und allerlei bunten Sachen geschmückt, und während ich mit einem Glas Rotwein in der einen und einem Buch von Karl May in der anderen Hand in einem Sessel saß, genoss ich beim Anblick der Zweige, des Schmucks und der Kerzen das unerklärliche, aber beruhigende Gefühl, wider alle Schwierigkeiten, denen ich ausgesetzt war, auf dem richtigen Wege zu sein.
Einen Tag nach Weihnachten fuhr ich mit der Stadtbahn bis zur Potsdamer Straße und unternahm einen Abstecher in den Hinterhof, von dem aus man einen Blick auf die Fenster der Wohnung Roland Oldens hatte; doch sie waren dunkel, er war nicht zu Haus.
Zwei Tage später versuchte ich es ein weiteres Mal, allerdings blieb mein Bemühen erneut vergeblich. Die Nacht zum neuen Jahr 1933 feierte ich ausgelassen mit Judith im Kreis ihrer zahlreichen Freunde. Jedoch hatte ich an einem der ersten Tage des neuen Jahres, als ich zu abendlicher Stunde das dritte Mal meine Schritte zu den Häusern hinter der Potsdamer Straße lenkte, Glück, denn durch die Fenster der Dachgeschosswohnung fiel trübes Licht in den menschenleeren Innenhof.
Ich stand ein paar Minuten da und betrachtete die schwach erleuchteten Fensterfronten, die geschwärzten Backsteinfassaden und die schweren Türen; dann betrat ich das schummerige Treppenhaus und stieg an der Wohnung des alten Hauswarts vorbei in das oberste Stockwerk hinauf.
Oben drückte ich auf den Klingelknopf.
Roland Olden, bekleidet mit einer schlichten dunklen Hose und einem weißen Pullover, öffnete mir die Tür, eine schmale Silhouette vor dem dunklen Flur und dem aus der Stube dringenden Lampenlicht.
»Entschuldigen Sie die Störung. Mein Name ist Goltz. Ich bin ein Bekannter Ihrer Schwester. Ist sie zu sprechen?«
Einige Sekunden lang betrachtete mich Olden, ohne dass ein Wort über seine fein geschwungenen Lippen drang. Daneben nahm ich stärker als alles andere seine Augen wahr, die mich mit einem unergründlichen und nichts enthüllenden Blick fixierten.
»Da sind Sie hier falsch!«, sagte er mit einer angenehmen Stimme.
»Offensichtlich bin ich nicht richtig informiert! Wo kann ich sie denn finden? Wie lautet ihre
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