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Splitter im Auge - Kriminalroman

Titel: Splitter im Auge - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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klangen, bald schon ganze Sätze. Als habe er bis dahin nur zugehört und alles innerlich so lange dahergesagt, bis es richtig schien. Allerdings sprach er auch danach nicht viel, schon gar nicht aus reiner Lust am Reden, aus Freude am Klang der eigenen Stimme oder aus Neugier auf das Neue, das da aus seinem Mund kam. Er sprach auch nicht, um einfach nur ohne Zweck oder Absicht mit anderen in Kontakt zu treten, er sprach immer nur dann, wenn es nicht mehr zu umgehen war.
    Dafür hatte er die Menschen schon früh mit einem Blick angesehen, der nicht zu einem Kind passte. Viele, die er ansah, hätten hinterher nichts zu der Form seiner Augen sagen können, zur Farbe der Iris oder ob er lange oder kurze Wimpern hatte, und es wäre ihnen schwergefallen, das zu benennen, was ihnen aufgefallen war. Sie wussten nur, es gehörte nicht in den Blick eines Kindes, und es war kaum zu ignorieren, obwohl er nur still dasaß, sich nicht bewegte und einen ansah.
    Dabei waren seine Augen blau. War es anfangs noch das dunkle, diffuse Blau, das alle Neugeborenen haben, verwandelte sich die Farbe schon nach wenigen Monaten in das helle Grünblau der Augen seiner Mutter. Auch das blonde, lockige Haar und die klare Linie der Lippen hatte er von ihr.
    Ein paar Wochen nach seinem zweiten Geburtstag war sie mit ihm für einen Behördengang nach Regensburg gefahren. Annemarie Trampe war eine ängstliche Frau, und weil sie sich nicht auskannte und ohnehin Angst hatte, in der Stadt Auto zu fahren, nahmen sie den Zug. Außerdem empfand sie es als gute Gelegenheit, ihrem Kind diese Erfahrung zu schenken. Sie war bei ihrer ersten Zugfahrt etwa im selben Alter gewesen und erinnerte sich gern daran. Etwa auf halber Strecke stieg ein Greis ein, dessen Augen unstet wanderten und nichts festhalten konnten. Der Mann war offensichtlich verrückt, stank nach Alkohol und Schweiß und setzte sich auf den Platz gegenüber. Ununterbrochen brabbelte er wirres Zeug und gestikulierte, aber in der Sekunde, als sein Blick den des Jungen traf, war er still. Ein paar Augenblicke blieb er davon gefangen, dann wandte er sich ruckartig ab und stierte stumm aus dem Fenster. Jeder Faser seines Körpers war anzumerken gewesen, wie unwohl er sich fühlte, schließlich stand er auf und floh von dem Platz, lange bevor er an der nächsten Station ausstieg.
    Immer, wenn Annemarie Trampe jemandem diese Geschichte erzählte, wunderte sich niemand darüber. Ihr Mann erfuhr nie davon.
    Sie hatte sich schnell an das ruhige Kind gewöhnt, das auch mit ihr nicht anders kommunizierte, denn sie war selbst ein stiller Mensch und hatte kein großes Verlangen nach Gesellschaft oder Austausch. Die Tage, an denen ihr Mann Leute in ihr Haus einlud, was selten vorkam, sich aber aus geschäftlichen Gründen nicht völlig umgehen ließ, ertrug sie mit demselben Gleichmut, mit dem sie alles in ihrem Lebens ertragen hatte, was sie sich anders gewünscht hätte. Sie verließ das große Anwesen nur selten, denn im Hause Trampe gab es Menschen, die all die Dinge erledigten, die in einem solchen Haus erledigt werden mussten. Es gab eine Köchin, ein Hausmädchen, und wenn etwas zu besorgen war, besorgte das Georg, der eigentlich der Fahrer ihres Mannes war, aber auch für andere Erledigungen in Anspruch genommen wurde. Auf ein Kindermädchen verzichteten sie, weil Albert Trampe das für die Aufgabe der Mutter hielt, und so übernahm sie sie auch.
    Das Haus war eine Villa aus der Gründerzeit mit großem Park, die versteckt in einem Wald lag und nur über eine einzige Straße erreichbar war. Befuhr man diese Straße in den Monaten, in denen die Bäume Laub trugen, hatte man das Gefühl, durch einen Tunnel zu fahren. Erst kurz, bevor man das Haus erreichte, bog die Straße in eine lichte Allee ab und gab den Blick frei. Es war ein stilles Haus.
    Dass diese Stille manchmal vertrieben wurde, lag an Maximilian Trampe, den alle nur Max riefen, alle, bis auf seinen Vater, dem das nie über die Lippen kam. Zwar tolerierte Dr. Albert Trampe diese Kurzform noch, wenn andere sie benutzten, bei »Maxi« aber war sein Verständnis zu Ende, und er wies alle, die seinen Sohn so nannten, auf den vollen Namen hin, ernst und bestimmt, wie es seine Art war, und mit leisem Stolz.
    Max Trampe war zwei Jahre älter als sein Bruder Robert und hatte nicht nur die Hände seines Vaters, sein kindlicher Körper ließ schon früh erkennen, dass auch seine Statur, die Form seiner Schultern und vor allem sein Gesicht Albert

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