Splitter im Auge - Kriminalroman
Trampe ähnelten, als gäbe es den Mann wie bei einer russischen Matrjoschka-Puppe noch einmal in einer kleineren Version, allerdings mit einem Unterschied:
Albert Trampe war ein ernster Mensch. Er führte das Chemieunternehmen Trampe in der dritten Generation, trug nur dunkelgraue Anzüge und Krawatten in gedeckten Farben und hielt sich für einen gerechten Mann. Sein Büro war nicht größer als das seiner Abteilungsleiter, er war jeden Morgen der Erste an seinem Arbeitsplatz, und wenn er hin und wieder in der kleinen Gemeinde predigte, in der sie jeden Sonntag den Gottesdienst und einmal in der Woche eine Bibelarbeit besuchten, sprach er gern über den Gott, der gerecht war und den man fürchten musste als sündiger Mensch. All das hatte seinen Zügen eine Härte gegeben, die dem Gesicht seines Sohnes noch völlig fehlte und vielleicht immer fehlen würde, denn Max Trampe war eine Ausnahme in diesem stillen Haus. Er war laut, und wenn er über die langen Flure rannte und das Geräusch eines Autos oder Flugzeugs imitierte, wenn er von Treppen sprang und dabei johlte, oder wenn er einfach nur sang, war er gern laut, er war es mit Freude, wie er bei vielem, was er tat, Freude empfand, und er empfand sie so, dass alle das sahen. Seine Mutter ermahnte ihn dann häufig zur Ruhe, nicht, weil sie das Geräusch störte oder weil sie Angst um die Gesundheit ihres Sohnes gehabt hätte, sie verstand es einfach nicht, und sie hatte das Gefühl, das habe mit Erziehung zu tun.
»Lass ihn«, sagte Albert Trampe, wenn er die Ermahnungen seiner Frau mitbekam, und solche Dinge sagte er meistens in einem Tonfall, der es schwer machte, ihm zu widersprechen, für seine Frau sogar unmöglich. In diesen Momenten aber fehlte diese Strenge. Das lag daran, dass er seinen Sohn und dessen Freude stets mit einem Lächeln betrachtete. Es gab wenige Dinge, die Albert Trampe lächeln ließen, was vielleicht normal war bei einem Mann, der die Meinung vertrat, man müsse Gott zunächst einmal fürchten; aber in den Zeiten, wo er seinen Sohn Maximilian in seiner Nähe hatte und ihn beobachtete, fühlte er eine Leichtigkeit, die ihm bis dahin in seinem Leben unbekannt gewesen war.
So war es auch an diesem Tag. Albert Trampe hatte sich den Luxus gegönnt, nicht als Erster in der Firma zu sein, sondern diese kleine Zeremonie am Morgen mitzuerleben. Er stand da, hatte seine Hände auf die Schultern Maximilians gelegt, fühlte die kleinen Erhebungen der Schlüsselbeine, roch den aufsteigenden, milden Körpergeruch seines Sohnes und lächelte.
Es ging etwas Leichtes von Maximilian Trampe aus, das war auch an den Gesichtern der anderen abzulesen und daran, wie sie sich verhielten, als könne man in seiner Gegenwart freier atmen, als verlören die Dinge ihre scharfen Konturen, wenn er im Zimmer war.
Robert stand dabei und sah seinen Vater an, diesen großen, schlanken Mann, sah, wie dessen Hände auf den Schultern seines Bruders ruhten. Er sah ihn zärtlich lächeln, voller Hingabe, und der Vater lächelte, das war ganz deutlich, weil er diesen kleinen Menschen ganz dicht bei sich hatte, weil er ihn anfassen konnte. Robert konnte seinen Blick nicht davon lassen, und er wusste, was gleich passieren würde. Das erste Mal war es vor etwa einem Jahr passiert, an einem Tag, als Max in der Schule eine gute Note bekommen hatte. Er hatte seinem Vater davon erzählt, und dieser war in die Knie gegangen und hatte sich die Begeisterung seines ältesten Sohnes angehört, während er unentwegt dessen Hände streichelte. Robert hatte etwas abseits gestanden, und in diesem Augenblick war es fast von allein geschehen. Sein Körper bewegte sich, ohne dass er eines seiner schmalen Glieder oder auch nur den kleinen Zeh gerührt hätte, wie auf einer Schiene auf seinen Bruder Maximilian zu, immer dichter, so dicht, dass sie ineinander übergingen und man kaum mehr sehen konnte, dass es zwei Körper waren, so dicht, bis er fast dieser Körper war, dessen Hände gestreichelt wurden, der angelächelt wurde, dem sein Vater alle Aufmerksamkeit schenkte.
Die erste Zärtlichkeit in seinem Leben, an die Robert Trampe sich erinnern konnte, war eine Berührung seines Bruders gewesen. Es geschah, als er auf dem Schoß seiner Mutter saß, sein Bruder vor ihm stand und ihm das Gesicht streichelte. Max hatte dabei gelächelt. Danach gab es vieles, was Robert Trampe zum ersten Mal erlebte, wenn sein Bruder Maximilian dabei war, was ein normaler Vorgang ist, denn in vielem sind ältere
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