Splitter im Auge - Kriminalroman
aus dem obersten Fach.
»Ich schwänze nur bei Mathe und da auch nur manchmal.« Sie füllte drei Löffel Kaffeepulver in den Filter. »Und so viel Mathe wird man ja wohl bei der Polizei nicht brauchen, oder?«
Fast hätte er ihr etwas über die Schule gesagt, dass sie wichtig sei und dass es wichtig sei, sich auch mal zu quälen im Leben, wenn man etwas erreichen wollte, aber er fand, dass sich das anhörte, als sei er ihr Vater. Deshalb schwieg er.
»Darf ich dich mal was fragen?«, sagte sie, setzte sich auf einen der Küchenstühle und wirkte plötzlich nachdenklich.
»Sicher«, antwortete Steiger und fühlte, dass er noch nicht ganz wach war.
»Hast du schon mal Drogen genommen?« Sie sah hoch.
Steiger versuchte, in ihren Augen zu lesen, ob sie das einfach nur wissen wollte, oder ob sie wirklich schon Erfahrungen damit gemacht hatte. »Nein, natürlich nicht«, sagte er und dachte daran, dass sein Shit langsam zur Neige ging. »Und am besten lässt du auch von Anfang an die Finger davon.«
Sie sah ihn immer noch an, und er hatte das Gefühl, dass das Gespräch über Drogen damit beendet war.
»Warum fragst du?«
In dem Augenblick, als er die Frage gestellt hatte, wusste er, dass sie idiotisch war.
»Ach, nur so. Ich dachte, du hast vielleicht Ahnung davon.«
Sie ging zur Kaffeemaschine und machte ein paar Handgriffe, die völlig überflüssig waren.
Er überlegte, ob er noch etwas retten konnte. Ihm fiel nichts ein, und er ging duschen.
Zu Dienstbeginn hatten sie im großen Team ein paar Dinge besprochen, und Gisa hatte Aufträge verteilt, aber etwas Eiliges war nicht dabei gewesen. Nur für den Abend war im Westpark eine größere Aktion der Rauschgiftleute geplant, an der sie teilnehmen sollten. Eigentlich hatten sie beim ET keine festen Teams, aber manchmal ergab es sich, dass man eine Zeitlang mit demselben Partner verbrachte, was Steiger im Augenblick recht war. Jana Goll war zwar noch grün und musste viel lernen, und eigentlich hatte er keine Lust, den Ausbildungsonkel zu machen, aber sie war okay. Sie war handfest, ohne männlicher sein zu wollen als die männlichen Kollegen, eine Eigenart, die früher bei der einen Hälfte der Frauen in der Kripo sehr verbreitet war. Die andere Hälfte war die mit Parfumtaschentuch und Pumps am Tatort, und es war schwer zu sagen, welche schlimmer war. Aber das war Jahrzehnte her und heute völlig anders. Jana gehörte zu einer anderen Generation, und er mochte sie. Sie war okay und in jedem Fall besser als Bulthaup oder Krone, da war Steiger sich sicher.
Bevor sie rausfuhren, sagte Steiger Jana Goll, dass sie erst ihren Schreibkram erledigen könne, weil er einen Blick in die Akte werfen wolle. Er zog sich mit einem Kaffee an seinen Schreibtisch zurück. Anders als in allen anderen Dienststellen der Kripo hatten sie beim ET keine Zweierzimmer, sondern arbeiteten alle außer der Chefin in zwei großen Räumen, was Steiger schon immer gestört hatte. Aber er würde das nicht mehr ändern.
Obwohl all das schon zwei Monate zurücklag und die unzähligen Fälle im Laufe der Jahre manchmal in seinem Kopf durcheinandergerieten, fand er sich in der Akte ziemlich schnell zurecht. Das konnte Schulze, eine Akte sauber anlegen, keine Frage. Aber Ordnung war neben Fleiß und Pünktlichkeit wahrscheinlich die dritte Tugend der Unbegabten.
Normalerweise rekonstruierten sie bei Tötungsdelikten den Tatablauf so haarklein wie möglich, das war bei diesem Fall aber nicht gegangen. Zu viele Dinge hatten sie nicht aufklären können, außerdem hatte sich der Täter für einen Teil der relevanten Zeit auf einen Blackout berufen und war letztlich einzig aufgrund der eindeutigen Spurenlage verurteilt worden.
Steiger las die Berichte noch einmal nach, und seine Erinnerung hatte ihn nicht getäuscht. Das Opfer war am 13. Juli, einem Dienstag, aus dem Heim abgehauen und auch an diesem Tag zuletzt gesehen worden, wie ihre Ermittlungen ergeben hatten. Erst eine Woche später hatte man ihre Leiche in der Nähe des alten Hoesch-Geländes gefunden. Bisher waren sie davon ausgegangen, dass Yameogo das Mädchen noch an diesem Dienstag getroffen und irgendwo eingesperrt haben musste, denn dafür gab es einen gravierenden Grund. Er hatte für den Dienstag kein vollständiges Alibi und war am folgenden Tag, am Morgen des 14.7., bei einer Aktion in der Innenstadt mit ein wenig Rauschgift in der Tasche überprüft und festgenommen worden. Erst am 15.7., also am nächsten Tag, hatte man ihn
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