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Splitter im Auge - Kriminalroman

Titel: Splitter im Auge - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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einer Unruhe, die an ihm zog, richtungslos, als kreise ein Magnet planlos um ihn herum, als sei die Gravitation durcheinandergeraten. Es machte ihn wirr im Kopf und orientierungslos und erzeugte eine Müdigkeit, die ihn lähmte und die nichts mit Schlaf zu tun hatte. Es war kein Parkplatz und keine Ausfahrt in Sicht, und weil er auf dem Standstreifen zu viel Aufmerksamkeit erzeugt hätte, presste er sich in seinen Sitz, bewegte das Lenkrad mechanisch und wartete, dass es vorbeiging, denn mehr konnte er nicht tun.
    Vielleicht hatte es mit seiner Erinnerung zu tun, das hielt er für möglich. Seine Erinnerung hatte er schon früh zu kontrollieren gelernt und war über die Jahre perfekt darin geworden. Dabei war es nicht das Problem, sich zu erinnern, sondern eben, sich nicht zu erinnern, sich wirklich nicht zu erinnern. Er hatte gelernt, Dinge einfach zu löschen. Wenn sie dafür zu groß waren, baute er sich innerlich ein System von Barrieren, die nichts hindurchließen, was nicht hindurchsollte. Er war sich nicht sicher, ob das immer noch funktionierte.
    Meist war es nach ein paar Minuten vorbei.
    In Dortmund-Ruhrallee verließ er die B1 und ärgerte sich, so weit gefahren zu sein. Dortmund war noch nicht wieder möglich, trotzdem rollte er eine Weile ziellos durch einige Außenbezirke, vielleicht ergab sich etwas für später, aber ein paar Monate sollte es noch dauern. Außerdem fuhr er den falschen Wagen. Der BMW war eigentlich zu gefährlich, aber für eine Erkundung war es okay.
    An einer Bushaltestelle sah er ein Objekt, das auf den ersten Blick interessant erschien. Er wendete, rollte noch einmal in normaler Geschwindigkeit daran vorbei, und damit war die Sache erledigt. Mittlerweile konnte er es in Sekunden entscheiden. Mit der Kleidung hatte es weniger zu tun, als er am Anfang gedacht hatte, auch das Gesicht wurde erst auf den zweiten Blick bedeutsam, den ersten Eindruck erhielt er durch die Haltung. Es war die Art, wie sie sich bewegten, wie sie gingen, sich drehten, anderen auswichen, manchmal reichte es ihm sogar zu sehen, wie sie standen.
    Er fuhr weiter durch die Vororte, bis die Sonne hinter den Dächern verschwunden war und die Straßenlaternen zu leuchten begannen. Der Drogenstrich kam überhaupt nicht infrage, das war klar, und er entschloss sich zu einem Versuch am Bahnhof.
    In einem Parkhaus in der Innenstadt stellte er den Wagen ab, und obwohl er auf den einzelnen Etagen keine Kameras entdeckt hatte, setzte er sich vorm Aussteigen wie gewohnt die Kappe und die Brille auf und ging Richtung Hauptbahnhof.
    Auf dem Vorplatz zwischen den Baucontainern war noch hektisches Feierabendgerenne, in einer Ecke soff eine Gruppe Jugendlicher trübes gemixtes Zeug aus einer Plastikflasche. Zwischen den Krawattenträgern mit Aktenkoffern schlurften ein paar Penner über den Platz, einer warf nebenbei einen Blick in jeden Abfalleimer, aus dem letzten fischte er eine leere Flasche. Ein dicker, alter Rollstuhlfahrer mit Kapitänsmütze rollte langsam durch die Menge und imitierte Vogelstimmen so echt, dass einige sich irritiert umsahen. Er erinnerte sich daran, dass es in seiner Kindheit kleine halbrunde Plättchen aus Pappe und Metall gab, die an der geraden Seite eine kleine Folie hatten. Man legte sich das Ding auf die Zunge und konnte damit solche Vogelgeräusche machen, wenn man ein wenig übte.
    Eine Viertelstunde später parkte er den Wagen in der Langen Straße am Westpark. Der Gang durch den Bahnhof war vergebens gewesen, aber der Westpark konnte an einem warmen Abend wie diesem ein viel versprechender Ort sein, das wusste er von früheren Gängen.
    Es waren noch relativ viele Menschen unterwegs. An einer Bank in der Mitte des Parks trank eine Gruppe Männer, die meisten trugen bunte Sportanzüge, die wahrscheinlich noch nie eine Sporthalle von innen gesehen hatten. Mehr im Schatten der großen Bäume suchten und fanden Dealer ihre Kunden, auch auf der Hundewiese war noch Betrieb.
    Er ging weiter und sah sie sofort. Sie saß auf einer steinernen Bank, deren Oberfläche aus buntem Mosaik bestand, und war vielleicht vierzehn, höchstens fünfzehn Jahre alt. Ihre dunklen Haare rahmten das blasse Gesicht ein, sie rauchte und hatte offensichtlich irgendwas genommen. Wie eine Drogensüchtige sah sie nicht aus, darum tippte er auf Alkohol, das war gut. Er beobachtete sie eine Weile aus der Entfernung, ging dann einmal an der Bank vorbei, danach war es ihm klar. Sie hatte nicht hochgesehen, ihn gar nicht

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