Splitter im Auge - Kriminalroman
wahrgenommen, sondern weiter an ihrem Nagelbett gezupft, trotzdem hatte er ihre glasigen Augen gesehen.
Nach weiteren fünf Minuten Beobachtung war er sich sicher, dass sie allein war. Er verfluchte sich, den BMW mitgenommen zu haben. Er hatte zwar präparierte Getränke und Spritzen dabei, aber der Sitz war nicht manipuliert, und eigentlich war es zu gefährlich. Die Gelegenheit war jedoch zu günstig. Er zog den gefälschten Jugendamtsausweis aus der Tasche und ging auf sie zu.
In diesem Augenblick kamen von der Nordseite Autos in den Park gefahren, die er auch dann als Polizeiwagen erkannt hätte, wenn ihnen nicht zwei Streifenwagen gefolgt wären. Sie bremsten hart ab, die Türen flogen auf, und die Polizisten liefen zielstrebig los. Im Halbdunkel der Bäume sah er Leute Richtung Rittershausstraße fliehen, wo sie von anderen Polizisten abgefangen wurden, von denen einige Hunde dabeihatten.
Er hatte den Versuch längst abgebrochen und ging zügig in die entgegengesetzte Richtung zum Ausgang Möllerstraße, aber auch von da kam ihm zivile und uniformierte Polizei entgegen. Ruhig bleiben, sagte er sich innerlich, und ging mit freundlichem Gesicht auf zwei der Zivilen zu.
»Guten Abend, darf ich fragen, was der Anlass für diesen Auftrieb ist?« Er versuchte, selbstbewusst und höflich zu klingen.
Der jüngere hatte einen rasierten Schädel, und unter der kurzen Lederjacke lugte die Pistole am Gürtel hervor.
»Wir überprüfen, ob hier Drogen verkauft werden. Darf ich einmal Ihren Ausweis sehen?«, sagte der Mann, ohne sich selbst auszuweisen. Der ältere der beiden hatte schütteres Haar, trug einen Mantel und sah ihn kurz, aber intensiv an, dann ging er weiter.
»Tut mir leid, Herr Kommissar, Karl-Heinz Schmitz ist mein Name, aber wenn ich mir abends ein wenig die Füße vertrete, habe ich den meistens nicht dabei.«
Das war der entscheidende Augenblick. Er lächelte und bemühte sich um einen Ausdruck echten Bedauerns.
Der Beamte musterte ihn von oben bis unten und fragte: »Haben Sie hier Drogengeschäfte beobachtet, Herr Schmitz?«
Er versuchte, amüsiert zu lachen. »Wissen Sie, Herr Kommissar, wer hier öfter spazieren geht und keine Drogengeschäfte beobachtet, der muss Tomaten auf den Augen haben, aber …«, er wartete die Reaktion des Mannes ab und bemerkte ein leichtes Schmunzeln, »heute habe ich nichts beobachtet.«
Die Gesichtszüge des Polizisten entspannten sich.
»Gut, Herr Schmitz, vielen Dank und schönen Abend noch.«
Er legte zwei Finger an die Mütze, deutete einen militärischen Gruß an und hielt diese Geste für eine gute Idee, dann ging er zum Ausgang Möllerstraße.
Den Wagen würde er in zwei Stunden holen.
13
An diesem Morgen war es Steiger zum ersten Mal aufgefallen. Der Tag hatte begonnen wie viele andere auch. Er war gegen zehn aufgestanden, hatte den Fernseher eingeschaltet und sich durch die Programme gezappt, bis der Kaffee durchgelaufen war. Während einer Reportage über gigantische Sardinenschwärme vor der südafrikanischen Küste hatte er die ersten zwei Tassen getrunken. Dann war er duschen gegangen und hatte sich wie immer vorher rasiert. Er wusste nicht, warum es ausgerechnet an diesem Morgen passiert war, denn er rasierte sich täglich und zog seit Jahrzehnten dieselben Grimassen, um die Klinge sauber führen zu können. Aber als er heute die Mundwinkel hochgezogen hatte, um die Haut unter dem Kinn glatt zu ziehen, sah es wie ein echtes Lachen aus, und in dem Augenblick fiel es ihm wieder ein. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er sich selbst im Spiegel angelacht hatte. Er fand allein die Vorstellung schon völlig idiotisch, trotzdem hatte er es immer wieder probiert, hatte sich hingestellt, sich im Spiegel angesehen und gelächelt, zaghaft, ungläubig und fremd, aber bewusst und gewollt. Obwohl er völlig allein gewesen war, hatte die Situation etwas Peinliches. Aber er war sich ganz sicher, dass er es früher getan hatte, sogar häufiger, ganz selbstverständlich und ohne sich dabei wie ein Schwachkopf zu fühlen. Wenn er sich richtig erinnerte, meist dann, wenn er abends auf die Rolle ging, sich zurecht machte und überprüfte, ob er an diesem Tag Aktien haben würde. Er stand da, noch in Unterhose, wusch sich die Hände oder kämmte sich und grinste sich dabei selbst im Spiegel an. Schon damals hatte er sich gefragt, ob er sich tatsächlich selbst anlachte oder irgendwen anders, der ihm im Kopf saß und ihn durch die eigenen Augen im Spiegel ansah.
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