Splitter im Auge - Kriminalroman
begann zu erzählen. Er sprach davon, dass Artur Adam ein feiner Kerl gewesen war, ein Pfundskerl, dass man immer auf ihn hatte zählen können, zu jeder Minute, nur ein Anruf, und Artur stand Gewehr bei Fuß, bei jedem Wetter, für keine Arbeit war er sich zu schade gewesen in der Gewerkschaft, ein echtes Vorbild, ein großartiger Freund, ein ganz feiner Mensch. Und dass er saufen konnte, erzählte Georg Beumer, saufen wie ein Weltmeister.
Das mit dem Saufen wusste Steiger.
Erst als der Pfarrer kam und Steiger und Georg Beumer per Handschlag und mit ernster Miene begrüßte, stoppte der alte Mann seinen Redefluss. Die Orgel begann ein Lied zu spielen, dessen Melodie Steiger schon einmal gehört hatte. Der Pfarrer ging zum Altar, und Steiger sah sich um. Es waren vielleicht fünfzehn Leute gekommen, vier, fünf hatte er schon einmal gesehen. Selbst zwei der Pflegerinnen aus dem Seniorenheim erkannte er in den hinteren Reihen, dahinter, in der letzten Reihe, saß Batto.
»Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei«, begann der Pfarrer, und Steiger war überrascht, dass er das Hohelied der Liebe tatsächlich schon einmal gehört hatte, aber er wusste nicht mehr, wo.
Der Pfarrer las den gesamten Text vor. »Die Liebe freut sich nicht der Ungerechtigkeit«, sagte er, »sie freut sich aber der Wahrheit.«
Steiger kam es vor, als habe er in den letzten zehn Jahren nicht mehr so häufig etwas über die Liebe gehört wie in den paar Tagen seit dem Tod seinen Vaters. Es störte ihn nicht weiter, aber es fiel ihm auf. Selbst der Alte hatte von Liebe geschrieben, Liebe zu Mara Stojkovic, mit der er einen Sohn hatte. Notar Dr. Brosig hatte Steiger die Entscheidung überlassen, ob er seinen Halbbruder bei der Beerdigung seines Vaters dabeihaben wollte. Steiger hatte sich nicht wirklich dagegen entschieden, er hatte die Zeit einfach nur verstreichen lassen, bis es sich nicht mehr lohnte, ihn anzurufen.
Der Pfarrer war fertig. Er bat darum aufzustehen und sprach vom letzten Weg des Verstorbenen. Alle standen auf, die Klappe unter dem Sarg öffnete sich, und die Orgel spielte das Steigerlied. Steiger hörte, dass hinter ihm einige leise und unsicher »Glück auf, Glück auf« sangen. Wäre das jetzt ein Augenblick, in dem einem die Tränen kommen könnten?, fragte er sich. Er hatte es häufig von Menschen gehört, das sei der Moment: wenn derjenige sich tatsächlich auf den letzten Weg machte, wenn man den letzten Blick werfen konnte, für den es in einer Minute, in wenigen Sekunden zu spät war, endgültig. Er hätte es auch jetzt wieder für möglich gehalten zu weinen, er hätte es vielleicht sogar erwartet. Peinlich wäre es ihm nicht gewesen, das wusste er, Peinlichkeit war nicht sein Gefühl. Aber es kamen ihm keine Tränen.
Der Sarg fuhr nach unten und verschwand, und Steiger hatte nur den albernen Gedanken, dass sein Vater in ein Loch in der Erde fuhr und verbrannt wurde, was Steiger an die Hölle erinnerte.
Dann dachte er daran, dass Batto gekommen war. Das freute ihn.
Als die Pforten zur Unterwelt sich wieder schlossen und nur der Blumenschmuck übrig geblieben war, zeigte Steigers Handy mit einem heiseren Piepen an, dass er eine SMS bekommen hatte.
21
Das Dröhnen des Hochdruckreinigers hallte von den weißen Fliesen an den Wänden wider, der scharfe chemische Geruch des Reinigungsmittels stach ihm in die Nase. Mit weißen Schaumschlieren rann das blaue Gemisch Richtung Abfluss, bildete einen kleinen Strudel und verschwand in den Löchern der runden Roste. Noch einmal ließ er den harten Strahl über die niedrige Metallliege wandern und über die verschraubten Stahlringe der Hand- und Fußfesseln. Als der letzte Rest mit einem schlürfenden Geräusch abgeflossen war, nahm er den Plastikeinsatz aus dem Abfluss und ersetzte ihn durch einen neuen. Dann war er sich sicher, dass kein altes DNS -Material mehr vorhanden war.
Er verließ den Raum und verstaute das Gerät in einem Verschlag unter der Treppe. Mit einem Surren öffnete er den Reißverschluss, stieg aus dem Papieroverall und streifte sich die Plastiküberschuhe von den Füßen. Die Flammen in der Brennkammer der Heizung erfassten das Bündel sofort, färbten es schwarz und lösten es schließlich auf.
Hier unten war nun alles getan. Er stieg die schmale Betontreppe empor, verschloss alles und ging hinüber zum Haus.
In der Küche aß er ein Stück Käse mit etwas Brot und trank ein Glas Milch. Beim Blick aus dem Fenster sah er zwei Amseln, die sich stritten
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