Splitter im Auge - Kriminalroman
vor den anderen machen konnte, war sie eine Füchsin; dieser Vergleich, fand Steiger, passte am besten. Anders als ein paar ihrer Konkurrenten aus der Szene hatte sie sich einen Rest Skrupel bewahrt. Er wusste, dass sie einmal Bilder von dem ertrunkenen Kind eines Lokalpolitikers nicht verkauft hatte, obwohl ihr dafür viel Geld geboten worden war. Auch deshalb fand Steiger sie und ihre gemeinsamen Deals okay.
Er erreichte Toni auf der Rückfahrt von einem Fabrikbrand in Bottrop, und sie verabredeten sich im Café am Präsidium.
Er musste zehn Minuten warten.
»Sorry«, sagte sie und bestellte sich schon beim Betreten des Cafés einen Espresso, »nicht mal am Samstag ist die Scheiß-A40 berechenbar.«
Sie setzte sich, legte die Fototasche auf den Schoß und zog aus einem Seitenfach ein Blatt Papier, das sie auf dem Tisch glatt strich. Darauf war eine Karte zu sehen, in deren Mitte das Ruhrgebiet lag. In der Nähe der holländischen Grenze war ein Kreis zu erkennen.
»So, Steiger, das ist dein Mast, von dem die SMS gesandt worden sind. Die erste um 20 Uhr 07, die letzte um 20 Uhr 51.« Sie tippte jedes Mal mit dem Zeigefinger auf den Kreis, der von der Grenze geschnitten wurde und von dem ein Teil auf holländischem Gebiet lag.
Steiger versuchte, sich an Geometrie in der Schulzeit zu erinnern, denn er wusste, dass eine solche Gerade einen Namen hatte, aber er fiel ihm nicht ein. Er wollte den Durchmesser des Kreises in der Realität schätzen, gab es aber auf.
»Kein Irrtum?«, fragte er und sah sie an.
»Ich glaube nicht.« Sie verrührte einen satten Löffel Zucker im Espresso und trank ihn mit einem Schluck aus.
Steiger hatte ein Gefühl, als habe er einen zu großen Schluck zu heißen Kaffee getrunken, als er sich klarmachte, was das bedeuten konnte. Ihm fiel auf die Schnelle keine Erklärung dafür ein, aber eines war sicher: Nach dieser Nachricht konnten sie die Hypothesen aus der Akte völlig über den Haufen werfen. Was das zu bedeuten hatte, wusste er nicht; das Opfer war übersät mit den Spuren des Afrikaners, daran führte kein Weg vorbei, aber irgendetwas stimmte nicht.
»Kannst du mir nicht mal erzählen, worum es geht?«, fragte Toni, und Steiger bemerkte, dass er in Gedanken gewesen war und länger geschwiegen hatte. »Du hast gesagt, wenn ’ne Story dabei rausspringen könnte, erzählst du es mir.«
Er sah sie an und überlegte. »Es ist noch keine Story«, sagte er, »vielleicht wird es auch gar keine.« Er erzählte ihr dann aber trotzdem von Caroline Thamm, von Bakary Yameogo, von dem fehlenden Tatort und einigen anderen Fragen, die sie nicht hatten beantworten können. Und er erzählte ihr von den Dingen, die er nach der Verurteilung des Täters fast zufällig erfahren hatte. Die Sätze, die er sagte, kamen ihm bekannt vor, fast wie bei einem Vortrag, den man öfter hält, und ihm fiel auf, dass er die Geschichte nun schon das vierte Mal in zwei Tagen jemandem erzählte.
Als er fertig war, sah Toni ihn an und sagte: »Eigenartig.«
Das hatte er schon vorher gewusst.
23
Die BVB -Uhr an der Wand zeigte zehn nach zwei, als Steiger das Café verließ.
Toni Sawitzki war schon eine halbe Stunde vor ihm gegangen, um die Bilder vom Fabrikbrand zu bearbeiten, sie sei wahrscheinlich eh schon zu spät dran, hatte sie gesagt und es auf ihrem iPad überprüft, aber es war noch kein Bild im Netz zu finden gewesen.
Er war noch auf ein Bier sitzen geblieben und hatte nachgedacht. Natürlich war es möglich, dass Caroline Thamm am Abend des 14. Juli nach Holland gefahren und am nächsten Tag wieder zurückgekommen war, vielleicht, um sich ein bisschen Stoff zu kaufen. Natürlich konnte sie erst danach Yameogo getroffen haben und von ihm entführt worden sein, am Donnerstag oder Freitag. Aber warum hatte sie dann niemand mehr gesehen? Oder es gab doch einen zweiten Täter, der sie am Mittwoch mitgenommen hatte, und Yameogo war irgendwann dazugekommen, nachdem er aus dem Gewahrsam entlassen worden war. Aber warum waren dann keine Spuren von diesem zweiten Täter gefunden worden, kein Haar, keine verdammte Hautschuppe, wo das Mädchen ansonsten mit Spuren übersät war? Mit Spuren und Wunden. Wunden. Seine Gedanken blieben an dem Wort hängen. Er hatte den Obduktionsbericht damals überflogen und keine konkrete Erinnerung mehr daran, aber dass es auch um Wunden verschiedenen Alters gegangen war, das wusste er noch. Er trank sein Bier aus und ging, den Wagen hatte er eh in der Nähe des Präsidiums
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