Splitter im Auge - Kriminalroman
also auch das. Rüter war sonst kein unbesonnener Mann, aber von Schulze schon so weit gebrieft worden, dass er sich nur mit Mühe beherrschte und jede Erklärung überflüssig war.
»Hast du eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Wenn du es nicht wärst, würde ich es glatt für Diensteifer halten, aber an der total falschen Stelle«, blökte Schulze dazwischen, aber Rüter stoppte ihn mit einer Handbewegung, erfreulich deutlich, fand Steiger.
Er überlegte einen Moment, ob er Rüter, als dieser sich wieder etwas beruhigt hatte und nach der Motivation für diesen Aktionismus fragte, noch einmal die Geschichte erzählen sollte. Aber er hätte gar nicht mehr gewusst, der wievielte Mensch der Kriminalgruppenleiter dann gewesen wäre, der es nicht verstanden hätte.
Steiger verließ das Büro mit der deutlichen dienstlichen Anweisung, in der Sache nichts mehr zu unternehmen. Das Einzige, was ihn wirklich dabei störte, war Peter Schulzes Blick gewesen.
Er ging in der sechsten Etage ans Fenster und schaute auf den Westfalenpark. Der Verkehr auf der B1 rollte mit derselben Regelmäßigkeit, mit der Wellen auf einen Strand laufen, zwischen den Wolkenlücken war das übliche Blau zu sehen, und die Blätter der Bäume bekamen langsam einen anderen Farbstich. Alles sah so aus, wie es an einem Montagnachmittag im September aussehen musste.
War er hier der Idiot?, fragte er sich. Wurde er langsam verrückt oder senil? Batto hätte ihm jetzt wahrscheinlich etwas vom Johari-Fenster erzählt, irgendeinem psychologischen Modell, das er öfter erwähnte, vom blinden Fleck, den wir alle uns selbst gegenüber haben. Wenn er in den letzten Tagen mehreren Leuten die Sache mit Caroline Thamm erklärt hatte, viele von ihnen erfahrene Ermittler, und keiner es verstand, war er dann nicht der, der völlig aus der Spur lief? Ihm fiel der alte Witz vom Geisterfahrer ein, der seine eigene Meldung im Radio hört und ruft: Ein Geisterfahrer? Hunderte!
War er dieser Geisterfahrer?
In diesem Augenblick fiepte sein Handy. Er sah auf das Display, es war Toni Sawitzki.
30
»Nichts geht mehr.«
Der Croupier schickte die weiße Kugel mit professioneller Lässigkeit auf ihre Runden, sie löste sich nach acht Umläufen vom Rand, sprang über die Rhomben und landete in der Sechs.
»Sechs, schwarz, pair , manque «, sagte der Mann und raffte mit dem Rateau alle Jetons zusammen, die verloren hatten. Auch Steigers Jeton auf Rot war dabei, aber mit den beiden anderen auf pair und manque gewann er jeweils ein Stück. Den Gewinn ließ er stehen und setzte zwei weitere Zehnerjetons auf Schwarz.
Er hatte sich entschlossen, einen Abend in der Spielbank zu verbringen, um Ordnung in seinen Kopf zu bekommen, um innerlich mal wieder für einen Moment eine Richtung zu erkennen, denn was ihn hier erwartete, wusste er aus unzähligen Besuchen: die völlige Leere nach einem Verlust und die Euphorie nach einem Gewinn. Vor Jahren war er fast täglich hier gewesen, weil er geglaubt hatte, man könne das System überlisten, irgendwie. Heute wunderte er sich, jemals so blauäugig gewesen zu sein. Es hatte ihn ein paar Tausender gekostet, trotzdem kam er immer noch regelmäßig. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass es an diesem Ort diese klare Linie gab zwischen Sieg und Niederlage, wie bei einem Boxkampf, und dass man die wirkliche Chance hatte, zu den Siegern zu gehören, manchmal jedenfalls.
Er hatte die Sache im Griff, dachte er, vor allem, wenn er an Abenden nach Hause fuhr, an denen er verloren hatte und sich leer fühlte, und er war sicher, sich dabei nichts vorzumachen. Zumindest hatte er noch nie Schulden gemacht, nicht bei der Bank und schon gar nicht bei Freunden. Aber weil sein Konto meistens schon Mitte des Monats in den dreistelligen Minusbereich rutschte, war der eine oder andere Hunderter nebenbei eine willkommene kleine Atempause, und er führte zwar nicht Buch, hatte aber den Eindruck, dass er öfter gewann. Er war kein wilder Zocker, der das große Glück beschwor, im Gegenteil. Beim Zocken ist das Glück dein Gegner, zumindest wenn du dich darauf verlässt, hatte er in einem Zockerbuch gelesen, das sich mit dem Zufall befasste. Wenn man den Einfluss des Glücks schon nicht ausschließen konnte, musste man ihn reduzieren, so gut es ging. Darum spielte er Systeme auf den einfachen Chancen, manchmal mit einer Progression im Gewinn, manchmal im Verlust, je nach Laune. Es gab Leute, die das für Unsinn hielten, er glaubte, dass sie sich irrten. Und
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