Splitter im Auge - Kriminalroman
Steiger, kein Anfang, kein Ende, alles nur unzusammenhängender Blödsinn. Entweder der Schwarze war nicht ganz richtig im Kopf, oder er verschwieg weiterhin etwas, aus welchem Grund auch immer, vielleicht weil er glaubte, es könne ihm schaden. Oder das Heroin, das er sich bis zu seiner Festnahme selbst gespritzt hatte, hatte ihm die Birne weichgemacht.
Wenn das allerdings stimmen sollte, dass Yameogo am Freitag krank war, blieben noch drei Tage, an denen er Caroline Thamm in irgendeinem gottverdammten Versteck, das sie bis heute nicht kannten, gequält und missbraucht haben konnte. Aber das passte absolut nicht mehr zu dem, was der Obduktionsbericht hergab. Dann musste es einen Mittäter geben. Aber warum bestritt er das so vehement?
Steiger verabschiedete sich von Yameogo, der ihn dabei wie einen falschen Heiland ansah, zu dem man als Leprakranker kam und dann doch nicht geheilt wurde.
Bis zum Dienst war noch Zeit, und Steiger hatte noch eine Idee.
29
»Das reicht mir alles nicht, Herr Adam«, sagte Staatsanwalt Holger Dobinski, und obwohl der Mann hinter seinem Schreibtisch saß und keinen Muskel bewegte, machte er einen gehetzten Eindruck. Holger Dobinski war einer von mehreren Staatsanwälten, die bei der Dortmunder Staatsanwaltschaft Kapitaldelikte bearbeiteten, im Juristendeutsch kurz Kap-Dezernenten. Er war der leitende Staatsanwalt in der Mordkommission Brache gewesen und ein Guter, wie die Kollegen sagten. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft war auf kaum einem anderen Gebiet so eng wie bei Mord und Totschlag, und die meisten Staatsanwälte gestalteten das Verhältnis zu den Kripoleuten absolut auf Augenhöhe. Darum war es auch ungewöhnlich, dass Dobinski ihn siezte. Aber sie hatten noch nicht viel miteinander zu tun gehabt.
»Sehn Sie, für alles, was Sie mir jetzt geschildert haben, gäbe es Erklärungen, die mit unseren Ergebnissen zusammenpassen.«
»Und dass am Opfer Wunden sind, die ihr von Yameogo nicht beigebracht worden sein können, wenn das Opfer am Mittwochabend noch gesehen wurde?«
»Dann hat er ihr das eben hinterher beigebracht, und sie hatte gutes Heilfleisch oder was weiß ich. Sehen Sie, Herr Adam, wir haben unzählige Spuren des Täters am Opfer und eindeutige Spuren des Opfers am Täter, denken Sie mal an die Bisswunde an der Hand. Wir haben null, wirklich null Hinweise auf einen Mittäter. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass wir den richtigen Mann haben.«
Den Spruch hatte Steiger in den letzten Tagen schon einmal gehört, und er hatte für den Augenblick keine Argumente mehr. Die Sache mit den SMS hatte er ausgelassen, weil er nicht wusste, wie Dobinski damit umgehen würde, dafür kannte er den Mann zu wenig.
»Und erlauben Sie mir noch eine Frage«, sagte der Staatsanwalt, als Steiger gehen wollte. »Auch wenn Sie Mitglied der Mordkommission waren … Eigentlich haben Sie als Angehöriger des ET jetzt nichts mehr mit der Sache zu tun, oder?«
»Nein«, sagte Steiger und war sich nicht sicher, ob in Dobinskis Stimme plötzlich ein eigenartiger Unterton klang. »Eigentlich nicht. Ich wollte es nur gesagt haben, weil ich eben einiges Neue erfahren habe und die Dinge bei mir nicht so richtig zusammenpassen.« Er überlegte, ob er etwas von seinem schlechten Gefühl sagen sollte, ließ das aber sein und ging.
Eine halbe Stunde später betrat Steiger das Präsidium, und als er auf den Aufzug wartete, traf er Kurt Kleine vom KK 11. Kurt hatte die Anforderung für die Körpergröße bei seiner Einstellung vor dreiunddreißig Jahren mit Ach und Krach geschafft, glich das jetzt aber dadurch aus, dass er eine ansehnliche Kugel vor sich her schob. Bei einer eventuellen Täternacheile hätte er mittlerweile schlecht ausgesehen, aber Kurt war der beste Aktenführer der Behörde mit einem Gedächtnis, das ihm in verschiedenen Fernsehsendungen viel Geld einbringen konnte, waren sich die Kollegen sicher. Sie versuchten ständig, ihn dazu zu bewegen und hinterher von dem gewonnenen Geld wenigstens eine große Fete zu geben, aber Kurt Kleine war ein Gemütsmensch, der am liebsten seine Ruhe hatte, und er war der Aktenführer in der MK Brache gewesen.
»Mahlzeit, Kurt«, sagte Steiger.
»Mahlzeit, Steiger«, sagte Kurt Kleine und lachte, denn er war meist gut gelaunt, was Steiger an ihm mochte. Jetzt konnte die Fröhlichkeit allerdings auch damit zusammenhängen, dass er auf dem Weg in die Kantine war. Steiger wollte die Gelegenheit nutzen.
»Wo ich dich
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