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Splitter im Auge - Kriminalroman

Titel: Splitter im Auge - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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nicht über den Einkauf einigen, und es hörte sich an, als ginge es um Alkohol. Der Greis am Zeitungsregal durchblätterte ein wenig nervös nacheinander die Zeitungen mit dem nackten Fleisch und steckte sie wieder zurück. Jedes Mal, wenn er ein neues Blatt nahm, sah er sich über die Schulter um, aber der Teeny hinter der Kasse hatte kein Interesse.
    Jetzt erst hatte er das Mädchen entdeckt, und sie kam sofort in die engere Wahl. Sie war höchstens sechzehn, wahrscheinlich jünger und machte einen ungeduldigen Eindruck.
    Mit scheinbarem Interesse an der Auslage beobachtete er sie von verschiedenen Positionen. An den Kühlschränken öffnete er eine der Glastüren und nahm sich ein stilles Wasser, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen.
    Das Mädchen unterhielt sich mit der Frau des Pennerpärchens, und sie schienen sich zu kennen. Ihre Freundlichkeit war echt, und das Objekt versuchte, höflich zu sein, sah aber ständig auf die Uhr.
    Er ging zur Kasse und zahlte sein Wasser. »Ich hoffe, Sie können wechseln«, sagte er und legte einen Fünfziger auf die Schale aus Plastik.
    »Kein Problem um diese Zeit«, sagte das Mädchen und lächelte reflexartig.
    Aus der Nähe sah sie noch jünger aus, und er fragte sich, wie alt sie wirklich war. Als er sich abwandte, bemerkte er die Pennerin, die ihn die ganze Zeit angesehen zu haben schien. Ohne seine Bewegungen zu unterbrechen, ging er an ihr vorbei und stieß fast mit einem jungen Burschen zusammen, der hereinkam. Er wirkte gehetzt und entschuldigte sich schon von weitem bei dem Mädchen.
    »Wo bleibst du denn?«, fragte sie hinter der Kasse. »Es ist nach acht, mein Bus ist jetzt weg, Mann.«
    Er blieb an dem Regal mit den Scheibenwischern stehen und tat so, als habe er etwas Interessantes entdeckt.
    »Tut mir leid, Nadine«, sagte der Junge, der nur ein paar Jahre älter war als das Mädchen, »aber mein Roller hat den Geist aufgegeben.«
    »Scheiße, jetzt muss ich das lange Stück bis zur Bahn gehen und bin viel zu spät zu Hause.«
    »Einmal wird das schon nicht so schlimm sein«, sagte der Junge.
    Sie wurde leiser, so als sei das, was sie jetzt sagte, nicht für alle bestimmt, aber er hörte es. »Das Jugendamt macht meinem Alten sowieso schon Stress. Wenn die mitkriegen, dass ich hier bis abends arbeite, machen die wieder die Welle, dass er seiner Aufsichtspflicht nicht nachkommt. Und ich will nicht zu meiner Mutter zurück und schon gar nicht ins Heim.«
    »Ja«, sagte der Junge, als sei er der Meinung, sich genug entschuldigt zu haben. Er zog seine Jacke aus, zupfte den Rest seiner Kleidung zurecht und ging hinter die Kasse. Für ihn schien die Sache erledigt.
    »Außerdem brauche ich das Geld, oder meinst du, ich verbringe hier jeden zweiten Nachmittag, weil es mir Spaß macht?« Mit diesen Worten verschwand sie in einem kleinen Hinterraum.
    Er hängte ein paar Scheibenwischer auf den Haken zurück, ging, so schnell er konnte, zum Wagen und fuhr ein Stück die Straße runter, auf der glücklicherweise kaum noch Autos waren. Nach etwa hundert Metern wendete er und stellte sich in eine Parkbucht. Er kannte sich nicht aus und wusste nicht, in welche Richtung es zur Bahn ging. Fußgänger waren auch nicht unterwegs. Er legte sich zur Tarnung eine Straßenkarte auf die Knie und sank tiefer in den Sitz, immer die Augen auf die Tankstelle gerichtet.

32
    Elisabeth Drexler traf ihre große Liebe mit zweiundvierzig Jahren. Da war sie seit neun Jahren Alkoholikerin, ungefähr, denn der Beginn der harten Trinkerei ließ sich nicht mehr so eindeutig festlegen, und sie lebte schon so viele Winter auf der Straße, dass sie es gar nicht mehr so genau wissen wollte. Sie hieß Elisabeth, nannte sich aber Eliza, und sie sprach es immer in der englischen Sprechweise aus. Der Grund dafür war der vielleicht glücklichste Augenblick in ihrem Leben gewesen, der jetzt zwar schon über dreißig Jahre zurücklag, den sie aber an manchen Tagen in ihrer Erinnerung so lebendig erleben konnte, als sei es gestern gewesen. Eigenartigerweise hing diese Erinnerungsfähigkeit nicht mit ihrem Alkoholpegel zusammen. Manchmal kamen die Bilder in fast nüchternem Zustand, als ginge sie einfach in einen Raum, in dem sie in unzähligen hohen Regalen lagen, man musste sie nur herausnehmen und entrollen, es ging ganz leicht. Manchmal kam die Erinnerung aber auch in Momenten, in denen der Wacholder, oder was sie gerade hatte, ihren Geist so träge machte wie eine Fahne bei Windstille. Nur die Bilder

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