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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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beendete die Verbindung zur polizeilichen Sammelstelle, mit der die Auskunft seines Handyproviders ihn eben verbunden hatte. Im nächsten Moment wurde er in die mit Kunststoffschonern überzogenen Sitze gedrückt, als der Diesel überraschend fest anzog. Er suchte nach dem Anschnallgurt, aber der war hinter die umklappbare Rückenlehne gerutscht.
    »Is was?«, fragte der glatzköpfige Fahrer und sah misstrauisch in den Spiegel, an dem zwei Filzwürfel baumelten. Gleichzeitig legte er den anabolikageformten Arm um die Kopfstütze des Beifahrersitzes. Mit einer Pfeife im Mund wäre er gut und gerne als Popeye-Imitator durchgegangen. Ja, da ist tatsächlich was. Ich bin gerade meiner Frau begegnet. Und ich würde mich gerne anschnallen, um nicht ihr Schicksal teilen zu müssen. Sie ist nämlich tot, wissen Sie?
    »Alles in Ordnung«, antwortete Mare. Er wäre gerne auf den Nachbarsitz gerückt, aber Popeye sah nicht so aus, als hätte er gerne einen Fahrgast im Rücken. Also blieb er, wo er war, und starrte unangeschnallt aus dem Fenster.
    Noch nie, selbst in den schlimmsten Zeiten der Trauer, hatte er sich so einsam gefühlt wie in diesem Augenblick.
    Es war erst fünf Minuten her, als er zum ersten Mal auf das leere Display seines Telefons gestarrt hatte. Fünf Minuten, seitdem ihm bewusst geworden war, wie sehr er im wahrsten Sinne des Wortes den Anschluss an sein Leben verloren hatte. Er hatte schon öfter mit Freunden darüber diskutiert, wie die Welt wohl aus den Fugen geraten würde, wenn es auf einmal keinen Strom mehr gäbe. Woran er nicht gedacht hatte, war, dass der Verlust seines Telefons einen fast ebenso gravierenden Einschnitt bedeutete. In einer Gesellschaft, in der das Handy nicht mehr nur der Kommunikation diente, sondern ein Computer war, mit dem man sein gesamtes soziales Leben verwaltete, gab es kein einfacheres Mittel, um jemanden von der Außenwelt abzuschneiden, als ihm seine SIM - Karte zu klauen.
    In den letzten Jahren hatte er nicht ein einziges Mal mehr eine Nummer gewählt, sondern immer im digitalen Adressbuch den Namen angewählt, den er anrufen wollte. Für Sandra, Constantin, seine Arbeitskollegin Roswitha, seinen Studienfreund Thomas und die anderen engsten Kontakte musste er sogar nur eine Kurzwahltaste drücken. Die einzige Nummer, die er noch auswendig konnte, war die, die ihm jetzt am wenigsten nutzte: seine eigene Mobilfunknummer. Alle anderen hatte er irgend wann unter dem Namen des Teilnehmers abgespeichert und vergessen. Lernen zu vergessen.
    Marc überprüfte noch einmal alle Untermenüs seines Handys - Kontakte, gewählte Rufnummern, Anrufe in Abwesenheit, SMS und MMS - , nichts. Irgendjemand in der Klinik musste sein Telefon auf Werkseinstellung zurückgesetzt haben. Bewusst oder aus Versehen. Das Ergebnis war das gleiche - er war von der Außenwelt abgeschnitten. Natürlich gab es noch die Auskunft, doch die würde ihm bei der Geheimnummer von Constantin Senner auch nichts nutzen. Wenn es überhaupt jemanden gab, der ihm jetzt helfen konnte, dann sein Schwiegervater. Einerseits war er selbst betroffen und trauerte ebenso um Sandra wie er, andererseits war er Mediziner. Wenn Marc sich gerade in einem wahnhaften Zustand befinden sollte, wüsste Constantin, was zu tun war. Sein Freund Thomas würde überfordert mit den Achseln zucken und ihm hilflose Tipps geben, auf die er von alleine gekommen war:
    Überprüf die Klinik, in der du heute warst, rede mit der Polizei, hol den Schlüsseldienst für deine Wohnung.
    Was nicht so einfach war, wenn man seinen Ausweis in der Wohnung vergessen hatte und offiziell noch nicht umgemeldet war. Der Umzug lag ja erst drei Wochen zurück. Dabei würde Thomas die ganze Zeit auf die Uhr sehen und ihn bitten, nicht so laut zu reden, weil sonst das Baby aufwachen und seine Frau ihm die Hölle heißmachen würde. Marc fragte sich, was es über ihn aussagte, dass es ihm im Laufe der letzten Jahre nicht gelungen war, seine Freundschaften zu pflegen. Eigentlich gab es in seinem Leben nur einen einzigen Kumpel, und der hatte vor sechs Wochen seine Leiche der Wissenschaft gespendet.
    Sandra.
    Er hatte es nicht fertiggebracht, sie ein letztes Mal in der Pathologie zu besuchen, wo ihr Körper derzeit von Medizinstudenten seziert wurde. Daher gab es bis heute auch noch keinen Termin für ein offizielles Begräbnis.
    »Was’n los heute?«, schrie der Taxifahrer nach hinten.
    Auf die Idee, die Lautstärke wieder herunterzudrehen, kam er nicht.
    »Was

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