Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
bereits an der Autotür, als er sich ein letztes Mal umwandte und ihn mit müden Augen ansah, aus denen eine so tiefe Traurigkeit sprach, wie Marc sie nur selten gesehen hatte. »Ich konnte es verdammt noch mal nicht verhindern«, sagte er und trat gegen den Reifen seines Wagens. Seine Stimme wurde von dem rauschenden Verkehr hinter ihm fast vollständig verschluckt.
    »Julia ist einfach gesprungen.«

18. Kapitel
    Das, woraus ein Mensch seine stärkste Kraft schöpft, ist zugleich seine empfindlichste Schwachstelle - seine Familie. Nicht ohne Grund ist es in Teilen der Mafia üblich, nicht den Feind selbst zu töten, sondern all die, die dem Verräter etwas bedeuten: seine Eltern, Freunde, die Ehefrau und natürlich die Kinder. Vor allem die Kinder, sie sind die Achillesferse eines Mannes. Besonders wenn es Mädchen sind, so wie bei Ken Sukowsky. Zwei von ihnen, die Fünf-und die Siebenjährige, hatten am Nachmittag im Vorgarten mit Laub gespielt, es zu kleinen Häufchen zusammengeharkt und sich immer wieder damit beworfen. Die Kleinste hatte ihren Geschwistern, in einen dicken Bademantel gehüllt, vom Fenster aus dabei zusehen müssen. Sie war erkältet und deshalb lieber im Warmen geblieben. Zumindest vermutete Benny das, der das kleine Haus der Sukowskys seit dem frühen Nachmittag beobachtete. Mittlerweile war es dunkel geworden, doch in allen Etagen brannte noch Licht.
    Lange kann es nicht mehr dauern …
    Benny warf einen letzten Blick auf den zerknitterten Zettel in seiner Hand; die Liste, die er in den letzten Tagen in der Klinik angefertigt hatte. Er hatte sie mit Wachsmalstiften schreiben müssen, weil Patienten keine spitzen Gegenstände erlaubt waren. Seit der Anhörung, in der seine Entlassung beschlossen wurde, hatte er den Zettel so oft zusammen-und wieder auseinandergefaltet, dass er an den Kanten bereits brüchig wurde. Jetzt war er erst wenige Tage in Freiheit, aber zwei von den zehn Namen darauf waren bereits durchgestrichen.
    Benny legte das dünne Papier zurück in das Handschuhfach. Dann zog er die rechte Schulter nach unten und hielt den Kopf schräg, bis die Nackenwirbel knackten. Die Verspannungen hielten sich in Grenzen. Der Mietwagen, den Valka ihm besorgt hatte, eignete sich perfekt für diese Observierung. Die Sitze ließen sich mit einem Knopfdruck in Liegeposition bringen, er war mit einer Standheizung ausgestattet, und außerdem passte er gut ins Westend: weder zu edel noch zu billig, um zwischen den MöchtegernGeländewagen und Limousinen hier aufzufallen. Benny gähnte. Wie immer kam sein Geist trotz der langen Wartezeit nicht zur Ruhe, und er dachte darüber nach, wie es so weit mit ihm und Valka hatte kommen können.
    Ihre gemeinsame Geschichte war typisch für Berlin, die Stadt der pubertären Träume. Denn wer hier in der Hauptstadt, im Armenhaus der Nation, Karriere machen wollte, hatte kaum die Chance auf einen Job in der Hochfinanz, dem Industriemanagement oder in einer der großen Anwaltssozietäten. Besser bezahlte Berufe gab es in etwa genauso häufig wie hundekotfreie Straßenzüge. Hin und wieder, im Lichtermeer am Potsdamer Platz oder hier draußen am Grunewald etwa, konnte man erahnen, wie es überall aussehen könnte, wenn nicht jeder Vierte von der Stütze leben und vierzig Prozent der Kinder unter die Armutsgrenze fallen würden. Kinder, die - wenn überhaupt - nur von einer Karriere träumen konnten, mit der man auch ohne Schulabschluss reich wurde, schnelle Autos fuhr und viele Frauen abschleppte; einer Karriere auf dem Fußballplatz oder - so wie bei ihm - im Musikgeschäft.
    Benny schloss die Augen und dachte an jene Zeit zurück, die auch seine Gegenwart bestimmte. Anfangs hatte Marc ihn nicht in der Band haben wollen. Mehr aus Prinzip, denn dass Benny weder singen noch ein Instrument spielen konnte, war kein Argument, hatte das doch auch die anderen Mitglieder nicht davon abgehalten, sich an den Hits von The Cure, Depeche Mode und anderen Vorbildern zu vergehen. Sie nannten sich N.R., die New Romantics, schminkten sich wie Robert Smith und probten jeden zweiten Abend in dem Keller eines Bestattungsunternehmens. Das Geschäft gehörte Karl Valka, Eddys Vater, der ihnen einen Raum neben seinem Leichenkeller zur Verfügung gestellt hatte. Im Gegenzug mussten sie seinen übergewichtigen und jähzornigen Sohn als Schlagzeuger dulden, auch wenn dieser viel lieber singen wollte. Doch der Platz vor dem Mikrophon war schon an Marc vergeben, dessen Stimme bei weitem

Weitere Kostenlose Bücher