Splitter
wohl auch kein Wunder.
Constantin führte seinen schwachen Allgemeinzustand nicht nur auf die Nebenwirkungen der Immunsuppressiva zurück, die verhindern sollten, dass der Splitter in seinem Nacken abgestoßen wird. »Es ist deine Seele, die gerade im untrainierten Zustand einen Marathon laufen will«, hatte er ihm erklärt und ihn zu einer psychologischen Behandlung überreden wollen.
Marc presste eine Hand in die Seite und versuchte in den Schmerz zu atmen, so wie es ihm sein Bruder beigebracht hatte. Damals, als sie noch Kinder waren und regelmäßig vor den U-Bahn-Kontrolleuren flüchten mussten, lange bevor der Hass sich zwischen sie gedrängt hatte.
»Ich verliere den Verstand«, skandierte er. Bei dem Regen waren nur wenige Passanten unterwegs, und weder der Zeitungsverkäufer noch das Studentenpärchen oder die ausländische Großfamilie wunderten sich über einen kopfschüttelnd vor sich hin murmelnden Mann. Nicht in Berlin. Nicht in dieser Gegend.
»Entweder bin ich verrückt geworden, oder die haben irgendetwas in der Klinik mit mir gemacht«, fragte er sich selbst.
Kurz vor der Ampel kam Marc an einer Apotheke vorbei, deren Fenstergitter heruntergelassen waren, in der aber noch Licht brannte. Er sah auf die Uhr. 21.57. Heute Spätdienst, blinkte ein Schild im Schaufenster. Zum ersten Mal seit langer Zeit schien wenigstens eine Kleinigkeit in seinem Leben zu funktionieren. Ihm blieben noch drei Minuten, um sich die Medikamente zu besorgen. Marc klingelte. Im nächsten Moment trat ein Mann mit einer Plastiktüte hinter ihn und zündete sich eine Zigarette an. Im Spiegelbild der verglasten Tür konnte er erkennen, dass dem Kerl die Nase blutete. Er war höchstens achtzehn Jahre alt, vermutlich jünger. Sein Spiegelbild verschwand, als von innen die verglaste Sprechluke geöffnet wurde und ein müder Apotheker grußlos mit dem Kopf nickte. In der Hand hielt er noch die Fernbedienung, mit der er bis zu dieser ungewollten Störung durch die TVKanäle gezappt hatte. Marc zog den Plastik streifen hervor, aus dem bereits alle Tabletten herausgedrückt waren, und gab ihn dem Mann, der laut dem Schild auf seinem Kittel auf den Namen A. Steiner hörte.
»Axemnosphalt?«, las er ungläubig von der Rückseite ab, als hätte Marc nach Heroin verlangt. « Haben Sie dafür ein Rezept?«
Marc schüttelte den Kopf. Bisher hatte er das Mittel immer in der Klinikapotheke nach den Verbandswechseln bekommen.
»Nie was von gehört«, sagte der Apotheker und watschelte in halboffenen Gesundheitsschuhen hinter den Verkaufstresen. Marc hörte, wie mehrere Schubladen eines Metallschranks erst auf-und dann wieder zugezogen wurden. »Und bringen Sie mir bitte gleich Aspirin und MCPTropfen mit«, rief er ihm hinterher.
Der Halbstarke hinter ihm stöhnte ungeduldig und blies ihm seinen Zigarettenrauch direkt in den Nacken.
A. Steiner hatte seine Suche aufgegeben und kam mit einer kleinen Medikamententüte zur Luke zurück. »Ich hab nachgesehen. Das haben wir nicht auf Lager. Aber wenn Sie morgen noch einmal wiederkommen, dann könnte ich es bestellen.«
Verdammt. Bis morgen kann ich nicht warten. Der Apotheker legte das Tütchen mit den anderen Medikamenten auf die Ablagefläche im Guckloch und nahm Marcs EC-Karte entgegen. Er hatte gleich ein Kartenlesegerät mitgenommen, um sich einen Weg zu sparen.
»Nein, ist nur noch ein Penner vor mir. Bin gleich zurück, Baby … »
Marc drehte sich zu dem Halbstarken um, der gerade mit seiner Freundin telefonierte.
« … und dann können wir weitermachen, okay?« Weitermachen? Was beginnt denn damit, dass man sich die Nase bricht?
»Haben Sie noch eine andere?«, hörte er den Apotheker fragen und beugte sich wieder zum Guckloch.
»Wieso?«
A. Stein er zeigte ihm das Display seines Lesegeräts. Karte ungültig.
»Das kann nicht sein, die ist brandneu.« Marc gab ihm seine American Express, doch auch die wollte das Lesegerät nicht akzeptieren, und jetzt wurde der Apotheker ungeduldig.
»Oder Sie müssen bar bezahlen, Dr. Lucas. Vierzehn fünfundneunzig.«
»Oder Sie schieben Ihren Arsch zur Seite und lassen endlich mal einen Notfall ran«, schimpfte es hinter ihm. Doch Marc reagierte weder auf A. Steiner noch auf die blutende Rotznase. Denn in diesem Augenblick sah er in der reflektierenden Scheibe, wie auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Licht in einem Ladengeschäft ausging.
Im »Strand«! In seinem Büro.
»Bin gleich wieder da«, sagte er und griff sich die
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