Splitter
ungefähr so groß wie die eines Patienten, der gerade aus der Vollnarkose erwacht. Wäre es Ihnen daher möglich, ausnahmsweise einmal etwas zu sagen, was keine Nachfrage provoziert?« Emma griff nach einer dünnen Akte, die in der Mitte geknickt war, weil sie sonst nicht in den Safe gepasst hätte. Der Ordner zitterte in ihren grobschlächtigen Händen. »Das ist alles Teil des Plans. Sie wollen uns verunsichern, verwirren, traumatisieren.«
Marc sah sie aufmerksam an, um in ihrem Gesicht Anzeichen des Wahnsinns zu erkennen, den er bei sich selbst vermutete. Doch er konnte nichts entdecken außer Merkmale einer längst vergangenen Schönheit. Marc begann zu ahnen, dass Emma früher einmal sehr attraktiv gewesen war, bis etwas geschah, das erst ihre Seele und dann ihren Körper aus der Bahn warf. Heute erinnerten allenfalls die symmetrischen Proportionen ihres Gesichts an eine Zeit vor den Medikamenten, die - wie Marc vermutete - so sichtbare Spuren hinterlassen hatten. Kortison, zum Beispiel, konnte solche Vollmondgesichter bewirken, Psychopharmaka vielleicht, oder gar noch Schlimmeres.
Drogen?
»Schön, lassen Sie es mich einmal anders versuchen.« Er setzte sich wieder auf die Bettkante. »Heute Mittag hat mir ein kleines altes Männchen in einem sehr teuren Auto angeboten, meine bösen Erinnerungen für immer vergessen zu können.«
»MME. Das Amnesieexperiment.«
»An dem Sie auch teilgenommen haben?«
»Bis ich es vor einer Woche abbrach.«
»Ach ja?« Marc zog die Stirn kraus. »Okay, wie dem auch sei. Mein Problem ist nur, nun, wie soll ich es in Worte fassen? Also, im Moment erlebe ich Dinge, die jeden Esoteriker von den Socken hauen würden, die aber nichts mit der BleibtreuKlinik zu tun haben können.«
»Und weshalb nicht?«
»Weil man dort meine Erinnerungen löschen wollte. Aber sie sind alle noch da.« Marc tippte sich gegen den Kopf. »Unverändert. Sie stimmen nur nicht mehr. Und, ganz ehrlich, es mag ja vielleicht sein, dass der Professor und seine Leute eine Bande von Wahnsinnigen sind, aber ich wüsste nicht, wie sie es in der kurzen Zeit geschafft haben sollten, mich unbemerkt einer kompletten Gehirnwäsche zu unterziehen.«
»In der kurzen Zeit?« Emma warf ihm einen verwirrten Blick zu.
»Ich war heute für sechs Stunden in der Klinik. Ich habe keine Pillen genommen, nichts gespritzt bekommen und lediglich zwei Schluck Wasser getrunken.«
»Sie irren sich.«
»Fangen Sie jetzt auch damit an, meine Erinnerungen in Frage zu stellen?«
»Nein. Ich meinte damit nur, dass Sie nicht erst seit heute Teil des Experiments sind.«
»Bitte ?«
»Deswegen sollten Sie mich ja begleiten. Weil ich Ihnen das hier zeigen möchte.«
Sie schlug die Akte auf und zog einen doppelseitigen Bogen heraus, den Marc schon einmal gesehen hatte. Vor wenigen Stunden. In der Klinik.
»Sehen Sie das?«
Sie reichte ihm das Formular. Mit dem Zeigefinger tippte sie auf das handschriftlich ausgefüllte Feld rechts oben in der Ecke.
»Das ist … »
… unmöglich.
Marc griff nach dem Papier. Das kann nicht sein. »Verstehen Sie jetzt, weshalb es so wichtig ist, dass wir miteinander reden?«
Marc nickte, ohne den Blick von dem Aufnahmebogen zu wenden, der vollständig ausgefüllt und auf seinen Namen ausgestellt war. Am meisten schockierte ihn das Datum der Erstanmeldung.
Der erste Oktober. Der Tag des Unfalls.
Vier Wochen, bevor sich Marc bei der BleibtreuKlinik beworben hatte.
24. Kapitel
Es sah aus wie ein Original. Und noch bevor er sich vergewissern konnte, ob er nicht doch eine Fälschung in Händen hielt, klopfte es an die Tür. Dreimal kurz, zweimal lang. Der Rhythmus klang wie ein vereinbartes Zeichen, aber Emma schien niemanden zu erwarten. Nervös blickte sie erst zur Zimmertür, dann zu Marc. Rasch nahm sie das Anmeldeformular wieder an sich.
»Wer?«, fragte sie lautlos. Ihr rechter Mundwinkel zitterte.
Marc hob fragend die Schultern. Bis vor einer Viertelstunde hatte er noch nie etwas vom Hotel Tegel Inn gehört. Woher sollte er also wissen, wer vor ihrer Tür stand, die leider nicht mit einem Spion ausgestattet war? Sie mussten sie schon öffnen, um herauszufinden, wer so spät noch etwas von ihnen wollte. Das Personal war es wohl kaum; in dem zweifelhaften Etablissement gab es weder Zimmerservice noch eine Minibar, die man nachfüllen konnte.
»Ich sehe nach«, flüsterte er, als es erneut klopfte. Der gleiche Rhythmus, dieselben spitzen Fingerknöchel auf laminiertem Holz.
»Nein!«
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