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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Theateraufführung an ihrer Schauspielschule. Sandra hatte ihn ihren Kommilitonen als ihren Bruder vorgestellt und kurz darauf für verstörte Blicke gesorgt, als sie ihm einen filmreifen Zungenkuss gab. Von da an hatten sie sich einen Sport daraus gemacht, den Partner in der Öffentlichkeit in peinliche Situationen zu bringen. Seine Rache auf den Bruderkuss hatte darin bestanden, bei ihrem nächsten Auftritt im Publikum aufzustehen und so lange frenetisch zu klatschen, bis sie vor Lachen den Text vergaß. Sie waren beide geübt, die Rollen zu wechseln, doch niemals, um sich zu verletzen. Sandras Schauspielkunst, ihr Humor, das hatte sie verbunden und nicht getrennt. Außerdem gab es keinen Grund für sie, all das zerstören zu wollen, was sie sich aufgebaut hatten.
    Es sei denn …
    Marc rührte die Tablette mit dem Zeigefinger um. Sie war erst zu einem Drittel aufgelöst.
    Es sei denn, hier geht es wirklich um Leben und Tod. Er trank einen Schluck, obwohl die Tablette noch nicht einmal an der Oberfläche des Glases sprudelte. Auf einer Farbskala zwischen Weiß und glühendem Rot wanderten seine Kopfschmerzen gerade in einen phosphoreszierenden Bereich.
    Oder …
    Der dünne Wegwerfbecher zerbrach in seiner Hand, als ihm eine mögliche Erklärung in den Sinn kam. Oder es stecke nicht ich, sondern Sandra in dem BleibtreuProgramm und kann sich nicht mehr an mich erinnern.
    Er warf den kaputten Becher auf den Boden, zog die Tür auf und trat in den engen Gang des Zimmers, der zwischen dem Badezimmer und dem Kleiderschrank zum Schlafbereich führte. Er musste Emma unbedingt fragen, ob sie etwas über seine Frau wusste. Vielleicht hatte sie mitbekommen, dass man sie ebenfalls in das Versuchsprogramm aufgenommen hatte. Das würde zwar eine Million neuer Fragen aufwerfen, aber zumindest ihren Verbleib in den letzten Wochen und ihr Verhalten erklären.
    Das Zimmer war so klein, dass ihn die offene Schranktür daran hinderte, aus dem Bad in den Flur zu treten. Marc wollte sie gerade zudrücken, da hörte er seinen Namen, und Furcht lähmte auf einmal all seine Bewegungen. »Marc Lucas. Ich habe ihn gefunden«, flüsterte Emma. »Ich bin jetzt im Tegel Inn in der Bernauer Straße.«
    Er hielt den Atem an und spähte durch den kleinen Spalt, der ihm zwischen der offen stehenden Schranktür und der Außenwand des Badezimmers geblieben war.
    Verdammt, was geht hier vor?
    Es gab keinen Zweifel. Emma telefonierte.
    »Es ist jetzt 23.39 Uhr, ich weiß nicht, ob ich ihn davon überzeugen kann, mir zu folgen.«
    Er wich einen Schritt zurück. Ihr Flüstern wurde noch leiser, als sie sagte: »Es wird schwierig werden, sein Vertrauen zu gewinnen. Er ist sehr misstrauisch.« Die letzten Worte waren wie ein Startsignal. Ohne zu überlegen, was er im Zimmer zurücklassen könnte, öffnete er leise die Eingangstür und schlich sich auf den Flur hinaus. Das grelle Deckenlicht war verschwunden. Der Gang lag im Dunkeln, und Marc musste sich an den schmalen Lichtfäden orientieren, die unter einigen Zimmertüren hindurchschimmerten.
    Mit wem redet Emma? Welche Rolle spielt sie in dem Irrsinn?
    Erst als er das Treppenhaus erreicht hatte, wagte er zu rennen. Zwei Stufen auf einmal nehmend, hastete er nach unten und wäre beinahe ausgerutscht, als er im Erdgeschoss um die Ecke zur Rezeption biegen wollte. »Sie sind ja doch da … », rief der Nachtportier ihm hinterher.
    Marc drehte sich um und lief dabei rückwärts weiter Richtung Ausgang. »Haben Sie vorhin geklopft?«
    »Ja. Wir haben Probleme mit dem Warmwasser und wollten … »
    Die letzten Worte konnte er schon nicht mehr hören. Sie blieben hinter der Drehtür zurück, die ihn aus dem Hotel hinaus auf die Straße schob.
    Und jetzt? Wohin jetzt?
    Mittlerweile war der Verkehr merklich dünner geworden, und bis auf einen Schichtarbeiter, der seinen Cockerspaniel Gassi führte, gab es niemanden zu sehen.
    Wo soll ich hin? Ohne Geld, ohne Auto, ohne Wohnung … ohne Erinnerungen?
    Er stand am Straßenrand, sah wie ein Schuljunge erst nach links und dann nach rechts zu einer provisorischen Baustellenampel. Hinter ihm blinkte die Neonreklame des Hotels und führte potenzielle Gäste mit drei aufgeklebten Sternen in die Irre. Die Uhr an seinem Handgelenk schnarrte, um ihn an eine weitere lebenswichtige Notwendigkeit zu erinnern, die ihm jetzt fehlte: die Tabletten für den Splitter in seinem Nacken.
    Der Mann mit dem Cockerspaniel schloss zu ihm auf. Er war viel zu sehr in ein Handygespräch

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