Splitter
ausgesehen, als müsse er sich übergeben, während er beim Abtasten einen« Lippenstift« nach dem anderen aus Marcs Jackentasche zog. Schließlich hatte er »die kleine Schwuchtel« doch noch angewidert hineingelassen, allerdings ohne Labellos.
Zum ersten Kuss war es dennoch gekommen, allerdings erst sehr viel später. Sandra hatte ihn lange zappeln lassen. Er hatte schon befürchtet, dass es einen anderen Verehrer gäbe, den sie vor ihm verheimlichte. Doch dann, von einem Tag auf den anderen, hatte sie die Initiative ergriffen und ihn auf seiner Geburtstagsfeier im Schlafzimmer seiner Eltern »vernascht«, wie sie es grinsend kommentiert hatte. »Dein Vater wird mich hassen«, prophezeite Marc drei Monate später auf der Fahrt zu Sandras Familienvilla in Sakrow. »Er wird am Knoten erkennen, dass ich mir noch nie einen Schlips gebunden habe. Er wird durch eine einzige Nachfrage herausfinden, warum er meinem Dad noch nie auf dem Juristenball begegnet ist. Weil der nämlich keine Börsenmakler und Chirurgen vertritt, sondern Kleinkriminelle und Asoziale. Und … »
« … er wird dir mit einem Bunsenbrenner die Eier rasieren, wenn er erfährt, dass du schon seit einem Monat Papas einzigen Liebling bumst«, ergänzte Sandra mit einem verwegenen Grinsen, das bis zu ihren vorderen Backenzähnen blitzte. Dann zog sie die Handbremse an und sprang barfuß aus ihrem Auto. Genau in diesen Widerspruch hatte er sich verliebt; in das Engelsgesicht aus bestem Hause, aus dessen Mund selbst die anzüglichsten Sauereien charmant klangen. »Du bringst es fertig und erzählst ihm von unseren heißen Nummern.«
»Das brauche ich gar nicht«, lachte sie. »Er ist so wie du, ein sehr sensibler Mensch. Er wird spüren, was wir vor einer halben Stunde noch unter deiner Dusche getrieben haben.«
Damals, als sie Hand in Hand den geharkten Kiesweg hochgeschlendert waren, hatte er sich nicht vorstellen können, dass Sandras Vater einmal seine wichtigste Bezugsperson werden würde. Und bei dem ersten, sehr unterkühlten Treffen an jenem Sommerabend hatte es dafür auch nicht die geringsten Anzeichen gegeben.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte Marc und sah sich erstmals um. Der Grundriss des Reviers erinnerte an den einer modernen Gesamtschule. Im Augenblick standen sie in einer Eingangshalle mit niedrigen Decken, von der aus zu beiden Seiten gewaltige Treppen zu den höheren Stockwerken führten, die allerdings keine Klassenzimmer, sondern weitere Büros, Vernehmungszimmer und mehrere geräumige Sammelstellen beherbergten.
»Geht es dir gut?«, fragte Constantin mit der besorgten Miene eines Mannes, der keine positive Antwort erwartet. Wie immer trug er einen dunklen Anzug mit weißem Einstecktuch. Und wie immer deutete nichts auf den zwölfstündigen Arbeitstag im OP, den er bereits hinter sich gebracht hatte.
Marc spürte, wie sich die Hand des jungen Polizisten, der ihn eben noch zur Vernehmung hatte abführen wollen, von seiner Schulter löste. Der Salutierreflex zeigte Wirkung. »Was ist hier los? Was will er von dir ?«, fragte sein Schwiegervater, als wäre der Beamte gar nicht anwesend. Gleichzeitig sah er sich um, ob er einen Vorgesetzten ausmachen konnte, der kompetent genug wäre, seine Fragen zu beantworten. Tatsächlich kam Stoya gerade aus der Männertoilette und sah verwundert zu der Dreiergruppe herüber.
»Und wer bitte sind Sie ?«, versuchte der junge Polizist mit möglichst autoritätsschwangerer Stimme zu fragen, doch Constantin hielt es nicht für nötig, ihm zu antworten, geschweige denn den Weg zur Treppe freizugeben.
»Wie hast du mich gefunden?«, wiederholte Marc seine Frage. Er konnte sich nicht im Entferntesten erklären, wie sein Schwiegervater ihn hier aufgespürt haben konnte. »Warum fragst du? Ich hatte dich doch auf meiner Mailbox.«
Wie bitte?
»Das ist unmöglich.« Marc zog etwas umständlich sein nutzloses Handy aus der Jeans. »Ich habe deine Nummer gar nicht mehr.«
»Machst du Witze? Wir haben erst gestern telefoniert.«
»Ja, aber jemand hat mir meine SIM - Karte geklaut. Ich kenne deine Nummer nicht auswendig, und die Schwester im Krankenhaus wollte sie mir nicht geben.« Marc zeigte ihm das dunkle Display. »Außerdem funktioniert das Ding jetzt sowieso nicht mehr.«
»Deine SIM-Karte? Also bist du bestohlen worden?« Constantin nahm ihm verwirrt das Mobiltelefon aus der Hand. Im gleichen Moment trat Stoya zu ihnen. »Gibt es ein Problem?«
Auch er ignorierte seinen Kollegen und
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