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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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trotz seiner kräftigen Statur alle Mühe, sie in Schach zu halten.
    »Was wollt ihr von ihr?«, schrie Marc und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie in dem dritten Stock seines Mietshauses ein Licht anging. Der Motorenlärm, die zuckenden Rettungslichter und das Gebrüll würden früher oder später einen Anwohner dazu veranlassen, die Polizei zu rufen. Eher später, denn nächtliche Auseinandersetzungen waren auch in Schöneberg nichts Ungewöhnliches, und die meisten vertrauten darauf, dass ihre Mitmenschen in der Lage waren, ihre Differenzen all eine und ohne staatliche Vermittlung zu lösen, zumal der Krankenwagen sicher einen beruhigenden Eindruck auf Außenstehende hinterließ. »Bitte nicht«, stöhnte Emma. Der Langhaarige hatte gerade einen länglichen, zigarrenförmigen Gegenstand aufgehoben und seinem Komplizen gereicht.
    »Und jetzt zu dir«, sagte er und trat einen Schritt auf Marc zu, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Bärtige die Lage wieder im Griff hatte, der Emmas Handgelenk hinter ihrem Rücken bis zu den Schulterblättern hochgezogen hatte. Ihre Schmerzensschreie gingen in ein langgezogenes Jaulen über.
    Am liebsten hätte Marc sich sofort auf den Mann gestürzt, der jetzt versuchte, den zigarrenförmigen Gegenstand in Position zu bringen, um ihn auf ihren Oberarm zu drücken.
    Aber dazu musste er erst einmal an dem anderen vorbei, der auf den ersten Blick viel schwächer als sein Partner wirkte. Doch das täuschte. Marc kannte diesen Typus und wusste, wie gefährlich gerade diese ausgemergelten Halbstarken waren, weil sie selbst wie Opfer wirkten und man sie deshalb unterschätzte. Diese Straßenkämpfer kompensierten ihre muskuläre Unterlegenheit durch eine fanatische Bereitschaft zur Selbstzerstörung und droschen selbst dann noch auf alles in ihrer Reichweite ein, wenn sie schon lebensgefährlich verletzt waren.
    »Mach keinen Ärger«, sagte der Pfleger und kam näher, wobei er Emmas Brille unter den Füßen zermalmte.
    Die Kniescheibe, schoss es Marc durch den Kopf. Er hob beide Arme in einer kapitulierenden Geste und lächelte sogar etwas, genau wie Khaled es ihm geraten hatte, der sechzehnjährige Halbtunesier, der nach jeder Straßenschlägerei stolz in den »Strand« kam, um seine frischen Wunden zu präsentieren.
    Khaled hatte recht. Tatsächlich gibt es keinen besseren Ansatzpunkt als die Kniescheibe, um einen Gegner zu Fall zu bringen und auf Dauer bewegungsunfähig zu halten. Gleich danach, noch während die gleißend gelben Schmerzschübe das Opfer zu zerreißen drohen, muss man allerdings nachsetzen. Drei, vier Tritte, möglichst gegen Kinn und Schläfe. Wenn der Winkel günstig ist, kann man dem am Boden zitternden Opfer vielleicht auch das Nasenbein mit einem Stoß ins Gehirn rammen. »Wer liegt, stirbt. Wer steht, geht«, hatte Khaled ihm die wichtigste Regel der Straße erklärt. Ein Gesetz, das schon vor Jahren das Leben von Marc und seinem Bruder bestimmt hatte, lange bevor sich ihre Wege trennten. Und jetzt stand er wieder kurz davor, zu überprüfen, ob das Gesetz nach all der Zeit immer noch Gültigkeit besaß
37. Kapitel
    Der Angriff war genauso schnell vorbei, wie er begonnen hatte. Der Langhaarige riss die Augen auf, ungläubig, wie in einer Karikatur, wenn der Zeichner allergrößtes Erstaunen zum Ausdruck bringen will. Dabei war Marc fast noch überraschter als sein Gegner, dass dieser so einfach zu Boden ging. Denn er hatte ihn gar nicht berührt … sondern Emma. Noch bevor Marc sich fragen konnte, wie sie ohne seine Hilfe aus dem Klammergriff ihres Entführers entkommen war, warf sie ihm schon ihre Autoschlüssel zu.
    »Schnell, Sie müssen fahren.«
    Noch immer leicht benommen von dem Schlag des Bärtigen, wankte sie auf die Beifahrerseite und ließ sich in den Käfer plumpsen. »Ohne Brille kann ich nicht gut sehen.«
    Marc starrte fassungslos auf die beiden Sanitäter zu seinen Füßen, die sich nicht mehr bewegten.
    Diesmal vergeudete er nicht zu viel Zeit, sondern löste sich aus seiner Starre, und schon wenige Atemzüge später bog er auf die menschenleere Bülowstraße ein, um den Oldtimer mit hektischem Blick in den Rückspiegel über die Kreuzung zum Nollendorfplatz zu jagen.
    Eine Zeitlang sprach niemand, dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten. »Was wollten die von Ihnen?«
    Emma griff wie abwesend nach ihrem Gurt und antwortete, nachdem ihre zitternden Hände endlich Steckzunge und Schloss zusammengeführt hatten. »Bleibtreu«, keuchte

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