Splitterfasernackt
abgesehen davon die Sorte Vater, die nie lächelt oder lobt oder anerkennt, sondern immer irgendetwas auszusetzen hat und eine klare Vorstellung davon besitzt, was aus dem eigenen Kind einmal zu werden hat. Er hat sich immer durchgesetzt, egal mit welchen Mitteln, und Caitlin hatte schon als kleines Kind ständig blaue Flecke. Ihre Mutter hatte ihn vor allem wegen seines Geldes geheiratet, und davon hatte sie, wie es nun schien, mittlerweile selbst genug.
»Bald sind wir volljährig«, habe ich schließlich gesagt. »Dann können wir ausziehen, ganz weit weg, irgendwohin, wo es keine Eltern gibt.«
Caitlin hat ihren Kopf an meine Schulter gelehnt und etwas gemurmelt. Ich habe kein Wort verstanden, aber ich habe mich auch nicht getraut nachzufragen.
Spät in der Nacht fahren Lady und ich zusammen in ihrem Auto nach Hause. Lady baut eine ganze Ansammlung von seltsamen Umwegen ein, aber irgendwann kommen wir schließlich doch noch vor meiner Haustür zum Stehen.
Bevor ich aussteigen kann, drückt Lady mir noch ein Päckchen in die Hand.
»Danke«, sage ich überrascht. »Was ist das?«
»Erst an deinem Geburtstag aufmachen«, sagt Lady.
»Verreist du?«, frage ich verwirrt, denn bis zu meinem Geburtstag ist es noch ein ganzes Weilchen.
»Nein«, sagt Lady, »ich hole meine Tochter ab.«
Einen Moment lang fehlen mir die Worte.
»Du hast eine Tochter?«, frage ich dann erstaunt. »Das hast du nie erwähnt.«
»Was meinst du wohl, warum ich so viel rauche«, meint Lady.
»Weil du eine Tochter hast?«, frage ich zurück.
»Nein«, brummt Lady, »weil ich sie nicht habe.«
»Aber ab jetzt hast du sie?«, frage ich.
»Morgen früh fahre ich sie abholen«, erklärt Lady.
»Das klingt kompliziert«, erwidere ich.
»Nein«, meint Lady. »Eigentlich ist es ganz einfach: Mein wundervoller Ex-Mann wollte unbedingt, dass Hailie mit ihm nach Schweden zieht, und jetzt will er, dass sie wieder zurückzieht. So war er schon immer – genau wie ein kleines Kind, erst jedes Spielzeug haben wollen und nach einer Woche liegt es dann unbeachtet in einer Ecke herum. Nur dass es sich hierbei um Jahre gehandelt hat.«
»Warum hast du Hailie denn mit ihm gehen lassen?«, will ich wissen.
»Weil er die besseren Anwälte hatte«, sagt Lady.
»Das ist scheiße«, erwidere ich bedrückt. »Und weswegen hast du mir nie erzählt, dass du eine Tochter hast?«
»Weil ich keine mehr hatte, meine Süße«, antwortet Lady schulterzuckend. »Nicht einmal Besuchsrecht.«
Sie sieht erschöpft aus, so müde habe ich Lady noch nie zuvor gesehen.
»Du wirst mir fehlen«, sage ich schließlich und umarme sie. Lady lässt es zu, aber nur einen kurzen Augenblick, dann meint sie: »Ich muss jetzt los. Packen.«
»Du kannst jederzeit anrufen, ich bin immer für dich da«, sage ich.
Lady nickt. Ihr roter Lippenstift sieht heute anders aus. Nicht so funkelnd und bestechend. Aber vielleicht ist es einfach nur das Licht.
»Ich melde mich, wenn wir zurück sind«, sagt sie zum Abschied.
Das »wir« spricht sie komisch aus. Wie ein fremdes Wort, das sie nicht richtig deuten kann.
»Okay«, sage ich. »Dann also bis bald und viel Glück.«
Aber das hört Lady schon nicht mehr, denn sie rauscht in einem atemberaubenden Tempo davon, und ich stehe verlassen am Straßenrand und blicke ihrem schwarzen Cabrio hinterher, bis es an der nächsten Kreuzung verschwindet.
Als wir uns kennengelernt haben, hat Lady zu mir gesagt: »Menschen gehen immer fort. Entweder sie sterben vor dir oder sie verlassen dich, bevor du sie verlässt.«
Ja – soviel weiß ich: Nichts und niemand bleibt für die Ewigkeit.
Und zu begreifen, dass man letztendlich immer alleine dastehen wird, taucht alles in ein anderes Licht. Es ist, als würde man in einem viel zu großen Saal stehen und kapieren, dass man Hunderte oder Tausende von Stühlen dort aufstellen kann und sie ganz bestimmt hin und wieder belegt sein werden, aber im Morgengrauen, wenn die große Vorstellung vorbei ist, werden all diese Plätze wieder geräumt sein, und dann steht man da und weiß: Das war es. Der Abend ist vorbei.
Ich weiß nicht, warum ich Lady damals von Caitlin erzählt habe und von meinen Eltern, immerhin kannten wir uns gar nicht. Wir saßen im Lietzenseepark auf der gleichen Bank. Ich hatte mir die Haare schwarz getönt, weil ich wusste, dass Caitlin mich trotzdem wiedererkannt hätte, wenn sie zufällig ins Leben zurückgekehrt wäre, und weil ich dachte, es würde mich
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