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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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nahm, die ich noch nie weiterverfolgt hatte - hier ging der eine Bach kurz in einen anderen, schmaleren über, bis sich beide wieder trennten. Der Weg war angenehm breit und von hellem Sand be­deckt, auf dem der Lichtkegel der Taschenlampe feinste Steinchen glitzern ließ, doch um uns herum herrschte abgrundtiefe Finster­nis.
    »Musst du selbst sehen«, drang Tillmanns Stimme durch die Dunkelheit. »Aber es wäre besser, wenn du nicht so viel redest.«
    »Ich lass mir von dir nicht den Mund verbieten, ja?«, herrschte ich ihn an. Abrupt blieb er stehen und drehte sich um. Mit der Taschen­lampe leuchtete er mir mitten ins Gesicht. Ich musste blinzeln.
    »Ich will dir nicht den Mund verbieten, Elisabeth. Ich denke nur, dass es besser so ist. Okay?«
    »Das ist alles total irre«, sagte ich das, was ich gerade dachte. Ich hätte ihn heimschicken sollen. Was tat ich da nur wieder? Ja, mögli­cherweise war Tillmann harmlos. Aber seine Konzentration auf das, was er mit mir vorhatte, dieses undurchsichtige Drängen in seinen Augen, war mir nicht geheuer. Ich versuchte, den Weg im Geiste zurückzurechnen. Würde ich hier allein wieder herausfinden?
    Tillmann sah mir schweigend dabei zu. Und was mich dabei nicht nur ängstigte, sondern auch gehörig ärgerte, war, dass er mich an­schaute, als hätte ich den Verstand verloren und nicht er.
    »Du kannst auch wieder nach Hause gehen und dir die Nägel la­ckieren, aber glaub mir, das hier ist cooler.«
    Ich trat genervt gegen einen Felsbrocken am Wegesrand und nahm einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche. Es schmeckte fad und war viel zu warm. Ohne rechten Genuss knabberte ich an ei­nem Keks herum. Ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte. Das kam mir alles ein bisschen vor wie Blair Witch Project für Anfänger.
    »Was wird das jetzt - ein Picknick?«
    Schnaubend warf ich die Wasserflasche in Tillmanns Richtung, aber er trat einen kleinen Schritt zur Seite, sodass sie gluckernd in die Böschung am Wegesrand rollte. Als ich nichts sagte und nur wartete, angelte er die Flasche mit dem Fuß aus dem Dickicht und kickte sie zu mir herüber, wo ich sie einen Hauch friedfertiger ent­gegennahm.
    »Bitte«, sagte ich knapp und wies auf den Weg. Stumm liefen wir weiter, Kilometer um Kilometer, bis meine Fußsohlen schmerzten und ich die Wasserflasche fast leer getrunken hatte. Die Sterne leuchteten hoch über uns, doch auf den Feldern bildeten sich lang­sam flach wabernde, bläulichweiße Schwaden aus aufsteigendem Dunst. Mit schlafwandlerischer Sicherheit, die Taschenlampe fest in der Hand, bahnte sich Tillmann seinen Weg durch den Wald. Mitt­lerweile hatten wir so viele Abzweigungen genommen, links, rechts, wieder links, dann über ein Brückchen, über ein Feld, durch den Wald, dass ich auf Gedeih und Verderb auf ihn angewiesen war. Al­lein würde ich ganz sicher nicht mehr zurückfinden. Mit einem un­guten Gefühl im Bauch ergab ich mich meinem Schicksal.
    Ich wollte gerade um eine Verschnaufpause bitten, als Tillmann seine Schritte verlangsamte. Der Wald lichtete sich. Tillmann schal­tete die Taschenlampe aus. Schweigend standen wir nebeneinander und warteten, bis wir wieder etwas sehen konnten. Und was ich sah, gefiel mir nicht. Es war idyllisch. Links neben uns schlängelte sich der Bach durch eine Wiese, die nur von wenigen schlanken Bäumen bewachsen war. Auf der anderen Seite der Wiese stieg das Dickicht steil an. Doch es fehlten die Sonne und der blaue Himmel und das Zwitschern der Vögel. Die Szenerie erinnerte mich an diese Hor­rorfilme, in denen alles in süßer Ordnung zu sein scheint, man aber genau weiß, dass in wenigen Sekunden ein bestialischer Mord ge­schieht. Prüfend blickte Tillmann sich um und zog den Reißver­schluss seines Seemannspullovers nach oben. Ja, es war kühl gewor­den. Aber ich begrüßte die fallenden Temperaturen. Sie verschafften mir ein wenig Klarheit. Die ganze Zeit zuvor hatte ich geglaubt, je­den Moment umzukippen.
    »Da drüben sind sie«, raunte er und forderte mich mit einer mi­nimalen Kopfbewegung auf, mich an seine Fersen zu heften. Nach ein paar weiteren stillen Minuten zog er mich unversehens hinter ein paar Büsche und ließ sich auf alle viere nieder.
    »Nein«, weigerte ich mich.
    »Doch«, sagte er fest. Seufzend tat ich es ihm nach. Wir krabbelten durch das Dickicht, bis Tillmann eine Lücke zwischen zwei dorni­gen Sträuchern fand, durch die wir direkt auf die Wiese blicken konnten. Zufrieden grinste er.

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