Splitterndes Glas - Kriminalroman
ein Kleid zu tragen, rief jemand aus der Menge: »Sieht geil aus!« und ließ im nächsten leisen Moment seine Handynummer folgen.
Auch wenn es ein Klischee war, hatte Orton sie alle in der Hand. Das dachte jedenfalls Lesley.
Als die Band abging und Orton allein blieb, um sich selbst auf der Akustikgitarre zu begleiten, war da eine neue Verletzlichkeit in ihrer Stimme, die die Menge zu ihr hinzog.
Home is where the heartbreak
Wraps cold around my bones
Zu Hause ist, wo der Kummer sich kalt an meine Knochen legt. Lesley spürte einen Schauder in ihrem Inneren.
Die Band kehrte zurück, das Tempo wurde schneller, die Lautstärke erhöhte sich und riss die Menge mit. Viel zu schnell war alles vorbei, und da waren nur noch das einmütige Klatschen, das Stampfen von Füßen und die Rufe nach den obligatorischen Zugaben.
Lesley war schon in der Nähe des Eingangs, als Orton ein letztes Mal auf die Bühne kam und zum eindringlichen |138| Klang ihrer Gitarre so leise die ersten Zeilen von ›It’s Not the Spotlight‹ sang, dass man sich anstrengen musste, um etwas zu hören. Lesley lauschte, nahm jedes zerbrechliche Wort in sich auf und schlüpfte dann hinaus, bevor das Lied enden konnte.
11
»O Mann!«, sagte Will, als er seine Laufschuhe in der Diele abstreifte. »Das hat geschlaucht.«
»Warum machst du es dann?«, fragte Lorraine. Sie stand im Bademantel in der Küchentür und lehnte sich an den Türpfosten. »Es ist ja nicht so, als würdest du zunehmen. Höchstens ein bisschen.«
»Ganz schön frech!« Will zog sein T-Shirt über den Kopf und warf es ihr zu. »Und überhaupt, du hast es nötig!«
»Ich habe einen Grund.«
»Eine Entschuldigung.«
»Ich bin nicht Madonna. Ich leiste mir keinen persönlichen Trainer, damit ich in zwei Wochen meine alte Figur wiederhabe.«
Will beugte sich vor und küsste Lorraine auf die Wange. »Madonna war sowieso nie mein Typ.«
»Geh weg, du bist ganz verschwitzt.«
»Nicht mehr lange. Eine schnelle Dusche und ich gehöre dir.«
»Die Kinder haben vielleicht ein Wörtchen mitzureden.«
»Wo sind sie überhaupt?«
»Jake frühstückt, Susie schläft.«
»Holt den Schlaf von letzter Nacht nach.«
»Das wird’s sein.«
|139| Auf dem Treppenabsatz drehte sich Will um und rief nach unten: »Irgendwelche Aussichten auf Rühreier?«
Er war nicht sicher, ob sie ihn gehört hatte, aber zwanzig Minuten später waren sie da, weich und noch ein kleines bisschen flüssig, wie er sie mochte, zusammen mit Pilzen, zwei Streifen Speck und Toast.
»Ich hatte es ganz vergessen«, sagte Will.
»Was denn?«
»Dass ich heute Geburtstag habe.«
»Das könntest du jeden Morgen haben, wenn du nicht aus dem Haus stürzen würdest, als wäre ein Feuer ausgebrochen.«
»Und wenn du nicht damit beschäftigt wärst, Susie zu füttern.«
»Du könntest es selbst machen.«
»Erst, wenn sie die Flasche bekommt.«
»Ich meinte, du könntest die Rühreier machen.«
»Nicht halb so gut wie du.«
»Schleimscheißer.«
»Du fluchst ja«, sagte Jack an der Tür.
»Ich dachte, du wärst im Badezimmer, junger Mann. Und putzt dir die Zähne.«
»Hab ich schon.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Komm mal her.«
»Warum?«
»Ich will, dass du mich anhauchst.«
Jake zögerte. »Ich geh schnell nach oben. Putze sie noch mal.«
»Mach das.«
Will goss sich etwas braune Sauce auf den Teller. »Du nimmst ihn ja streng ran.«
|140| »Willst du vielleicht mit ihm zum Zahnarzt gehen?«
»Nicht unbedingt.«
»Na, siehst du.«
Auf den Scheiben des Wagens lag eine dünne Eisschicht, die sich leicht wegkratzen ließ, sodass er das Spray nicht brauchte. Der Himmel hatte das gleiche blasse und undurchsichtige Grau wie am Tag zuvor und vor zwei Tagen. Obwohl es keine Anzeichen von Eis auf der Straße gab, spürte er, dass die Hinterräder wegrutschten, als er in die Straße am Fenn einbog.
Er steuerte gegen und schaltete hoch. Er musste zuerst zum Polizeihauptquartier in Huntingdon; bei der Besprechung ging es um Informations-Managementsysteme für Beamte im Rang eines Detective Inspector und darüber. Will bezweifelte nicht, dass es wichtig war, aber trotzdem konnte ihm die Aussicht darauf den Tag nicht versüßen.
Als er kurz nach zwölf an der Parkside eintraf, hatte Will einen dicken Kopf. Schuld daran war die unverträgliche Mischung aus Banalitäten und kaum begreiflichem Hokuspokus. Was brachte Computerexperten, Berater und hochrangige Beamte wohl dazu, wider besseres Wissen eine
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