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Splitterndes Glas - Kriminalroman

Splitterndes Glas - Kriminalroman

Titel: Splitterndes Glas - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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entschied sich aber dagegen. Draußen in Bestwood gab es eine Versammlung der Bewohner mit einem Polizeisprecher und dem Abgeordneten des Wahlkreises, und obwohl sich ein anderer Reporter darum kümmerte, beschloss sie, auch hinzugehen.
    Zu Hause, nach einem Bad und einer aufgewärmten Portion Broccolisuppe von Sainsbury’s, überlegte sie es sich |135| anders. Die Versammlung würde sie dem Kollegen überlassen, aber am nächsten Morgen würde sie in die Siedlung gehen und mit einigen von den Bewohnern sprechen, die vielleicht aus guten Gründen nicht teilgenommen hatten. Sie machte sich einen Becher Kaffee, schaltete den Fernseher an und gleich wieder aus. Das Gleiche mit dem Radio. Nach ein paar Seiten verlor sie das Interesse an einem Buch, das sie schon mehrfach zu lesen versucht hatte. Einer Zeitschrift ging es genauso. Mehreren Zeitschriften.
    Lesley sah auf die Uhr.
    Inzwischen war es zu spät für die Versammlung. Es hatte keinen Sinn, anzukommen, wenn die wichtigsten Reden vorbei waren.
    In ihrer Tasche hatte sie eine Freikarte für einen Gig im »Rock City«, die ihr jemand von der Arbeit gegeben hatte. Beth Orton. Schwach erinnerte sie sich an ein Lied über eine Frau, die in den frühen Stunden des Morgens danach allein nach Hause kommt. Wie war das noch gewesen? Die Frau läuft im Kleid von gestern Abend irgendwo entlang, den Geruch irgendeines Mannes an den Fingern, seinen Geschmack im Mund. Kenn ich, dachte Lesley, hab ich auch gemacht. One-Night-Stands. Ist aber ’ne Weile her. Den Schlüpfer in die Jackentasche gestopft oder ganz unten in der Handtasche verstaut.
    Es hatte eine Zeit gegeben, irgendwann zwischen dem Examen an der Uni und dem Zur-Vernunft-Kommen, da hatte sie sich als Versagerin gefühlt, wenn sie samstagabends mit Freunden ausgegangen war und niemanden aufgerissen hatte. Als wäre das Leben zu Ende. Jetzt war ihr das egal. Sie ging nicht aus, nicht oft jedenfalls, und wenn doch, so war alles relativ seriös, denn die meisten ihrer Freunde waren verheiratet oder hatten langjährige Partner. Normalerweise war sie vor den Zwölf-Uhr-Nachrichten im Bett.
    |136| Noch einmal sah sie auf die Karte, drehte sie in den Fingern hin und her und rief dann dort an. Beth Orton würde um Viertel nach neun auf der Bühne stehen. Zeit genug, um zu Fuß durch die Stadt zu laufen.
     
    Seit Ewigkeiten war sie nicht mehr im »Rock City« gewesen. Der etwas vergammelte Eingang, nur ein paar Schritte von der Rückseite der Royal Concert Hall entfernt, schien sich kaum verändert zu haben; das Gleiche traf auf die beiden Türsteher in den schwarzen Jacken zu, die sie flüchtig musterten und dann durchnickten. Der Innenraum war dunkel, abgesehen von den Bars an beiden Enden und der fast leeren Bühne, auf der der allgegenwärtige Roadie die übliche langwierige Prozedur absolvierte, Mikrofone testete, Gitarren stimmte, Listen mit den Stücken auslegte, für Handtücher und Wasserflaschen sorgte. Der Saal, schätzte Lesley, war zu gut zwei Dritteln gefüllt, eine bunte Mischung von Leuten: einige ein ganzes Stück jünger als sie – Studenten   –, aber andere um die dreißig oder sogar vierzig, viele Paare, Frauen zu zweit oder zu dritt, vereinzelt ein Mann, der allein unterwegs war.
    Zuerst wollte sie auf die enge Galerie am hinteren Ende gehen, beschloss aber, sich vorne einen Platz zu suchen, ein Stückchen von der Bühne entfernt.
    Sie musste nicht lange warten.
    Ohne jede Einleitung nahmen die vier männlichen Mitglieder der Band ihre Plätze ein. Orton kam ohne Ankündigung auf die Bühne und setzte sich ans Klavier. Die erste Nummer war kurz und fast vorbei, bevor Lesley sich auf das Geschehen einstimmen konnte. Der Roadie gab Orton eine Gitarre und sie kam in die Mitte der Bühne. Eine kurze scherzhafte Begrüßung und schon begann Lied Nummer zwei. Der Sound war laut, aber nicht ohrenbetäubend, und |137| zum Glück ganz klar; Ortons Stimme, zuweilen hoch, zuweilen zitternd, fast schrill, erhob sich mit Leichtigkeit über den beharrlichen Bass- und Trommelrhythmus. Während sie sich zunehmend entspannte, wurde ihr Benehmen zwischen den Nummern angenehm albern, nahm eine Unbestimmtheit an, die Lesley charmant fand, auch wenn sie vermutete, dass sie etwas aufgesetzt war. Sosehr sie auch vorgab, unsicher zu sein, eines war ganz klar, dass nämlich Orton volle Kontrolle über das Geschehen hatte: die Band, die Zuhörer, alles.
    Als sie sich darüber lustig machte, wie merkwürdig es sich anfühlte,

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