Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Splitterndes Glas - Kriminalroman

Splitterndes Glas - Kriminalroman

Titel: Splitterndes Glas - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
mit dem gleichen ernsthaften Schritt wie zuvor in die Station zurückkehren und ging ihm entgegen, stellte sich ihm direkt in den Weg.
    Blond, bebrillt, genauso groß wie Will, wenn nicht größer, erwartete der Arzt von Will, dass er zur Seite treten würde.
    »Helen Walker«, sagte Will.
    »Würden Sie mir bitte aus dem Weg gehen?«
    »Helen Walker«, sagte Will noch einmal. »Sie ist Polizeibeamtin. Sie wurde letzte Nacht nach einem Übergriff eingeliefert.«
    »Sind Sie der Ehemann? Partner?«
    |210| Will schüttelte den Kopf.
    »Ein Verwandter?«
    »Nein.«
    »Dann fürchte ich   …«
    »Wir arbeiten zusammen«, sagte Will.
    »Verstehe.« Zum ersten Mal sah der Arzt Will ins Gesicht. »Ich sage Ihnen, was ich sagen kann. Sie wurde mit einer einzelnen, etwa acht oder neun Zentimeter langen Stichwunde in den Unterleib eingeliefert. Glücklicherweise wurden keine lebenswichtigen Organe verletzt. Dennoch hatte Ihre Kollegin eine Menge Blut verloren. Wir mussten operieren, um weitere Blutungen zum Stillstand zu bringen und das beschädigte Gewebe zu flicken.«
    »Wird sie wieder gesund?«
    »O ja«, sagte der Arzt. »Sie ist fit. Sie ist stark. Sie hat andere Verletzungen erlitten, aber sie sind vergleichsweise leicht, auf keinen Fall lebensbedrohlich, und ich würde sagen, ja, alle Anzeichen sprechen dafür, dass sie mit der Zeit vollständig genesen wird.«
    »Andere Verletzungen?«, sagte Will. »Welche?«
    »Wenig überraschend hat sie an der Einstichstelle einen Bluterguss, der höchstwahrscheinlich vom Heft des Messers oder der Faust des Angreifers oder von beidem herrührt. Auch an anderen Stellen gibt es aufgrund von Schlägen, die sie abbekommen hat, starke Blutergüsse, außerdem Schnitte an den Unterarmen und in beiden Handflächen.«
    Abwehrverletzungen, dachte Will, Helen hat versucht, sich vor der Klinge zu schützen.
    »Wie schon gesagt, es besteht keine Veranlassung, sich übermäßige Sorgen zu machen«, sagte der Arzt.
    Will dankte ihm und trat zur Seite, und der Arzt eilte davon.
     
    |211| Malcolm Rastrick war Anfang fünfzig, ein dünner, beinahe ausgezehrter Mann mit fahler Haut und eingefallenen Wangen. Vor fünfzehn oder mehr Jahren war er aus Nord-Yorkshire hierherversetzt worden, und der Akzent des Nordens war an ihm hängen geblieben wie Kletten am Fell eines Hundes. Ein Pedant war er, das war das einzig richtige Wort. Es dauerte lange, bis er beleidigt war, noch länger, bis er vergab. Er konnte Dummköpfe nicht leiden. Will hatte schon ein- oder zweimal eng mit ihm zusammengearbeitet und hatte Achtung vor ihm.
    Jetzt begrüßte er Will mit einem kurzen Handschlag und einem mitfühlendem Nicken. »Warst du im Krankenhaus?«
    »Ja.«
    »Wie macht sie sich?«
    »Gut, offenbar. Sie ist nach der Operation noch nicht wieder ganz da. Der Arzt sagt, alles wird gut.«
    »Sie ist ein starkes Mädchen«, sagte Rastrick, und dann: »Du willst wissen, was Sache ist.« Will nickte. »Einiges weißt du wahrscheinlich schon, anderes vielleicht nicht. Helen war ausgegangen, mit Freundinnen, insgesamt vier. Erst haben sie etwas getrunken, dann gegessen, in diesem türkischen Laden auf der King Street, dann noch ein paar Gläser getrunken, bevor sie sich verabschiedet haben. Sie hat eine ihrer Freundinnen zur Market Street gebracht, dort in ein Taxi gesetzt und sich dann allein auf den Heimweg gemacht.«
    »Sie hätte sich auch ein Taxi nehmen sollen.«
    »Sind nur zehn Minuten von dort bis zu ihrem Haus. Höchstens fünfzehn. Sie wollte frische Luft schnappen, würde ich sagen. Einen klaren Kopf kriegen.«
    »Sie hätte sich ein Taxi nehmen sollen«, sagte Will noch einmal.
    »Soweit wir das sagen können, und bislang sind es bloße |212| Vermutungen – wir nehmen gerade Zeugenaussagen zu Protokoll   –, sah Helen einen Kampf unten am Ufer, rechts von der Brücke, der Magdalene Bridge. Ein Haufen Kerle, ein Dutzend, vielleicht mehr, traktierten zwei Männer, die am Boden lagen, auf übelste Weise mit Fußtritten. Nicht nur mit Fußtritten. Mit Schlägern, Baseballkeulen, was immer du willst. Offenbar hat Helen eingegriffen und versucht, die Männer wegzuziehen und der Schlägerei ein Ende zu setzen.«
    »Sie hat es nicht gemeldet? Unterstützung angefordert?«
    Rastrick schüttelte den Kopf. »Hat wahrscheinlich gedacht, sie müsse sofort etwas tun, um zu verhindern, dass jemand getötet wird. Und dann sind sie natürlich auf Helen losgegangen. Einige jedenfalls. Du hast das Ergebnis gesehen. Sie

Weitere Kostenlose Bücher