Splitternest
eine zusammengerollte Karte.
»Geh an Land, Mhadag«, befahl ihm Sternengänger. »Übergib dem König die Karte von Yuthir. Er soll sehen, wie groß die Welt ist, die ich ihm anvertraue. Er war mutig genug, ohne meine Hilfe hierherzusegeln; dann wird er sie sich auch zu unterwerfen wissen. Der Acker muss in Blut getaucht werden. Denn nur wenn die Menschen einen Grund zum Trauern haben, werden sie Gharax vergessen.«
Er beobachtete den König, und Tarnac der Grausame erwiderte seinen Blick, furchtlos und wissend.
»Die Saat geht auf«, sagte Sternengänger. Die Sporne seiner Maske spreizten sich, um den König der neuen Welt zu begrüßen.
Der Klang der Leiern war verhallt. Kein Nebel wehte mehr über dem Acker, und so lag der schlammige Grund bloß. In tiefen Löchern – Fußstapfen, eingedrückt von schweren Stiefeln – stand blutgetränktes Wasser. Eine geborstene Brashii lag zu den Füßen eines toten Igrydes, Kopf und Helm gespalten, der Mund voller Dreck. Neben ihm eine Kathygerin, die er erschlagen hatte, ehe ihm selbst eine Klinge in den Leib gefahren war.
König Eshandrom beugte sich über den Gyraner. Mit der Spitze seines Schwerts schleuderte er die zerstörte Leier fort. Die Schlammspritzer in seinem Gesicht hatten sich rot gefärbt.
»Dies also ist der Lohn«, sagte er zornig. »Der Lohn für meine Treue.« Er hob das Schwert, als wollte er es erneut auf den Toten niedergehen lassen. »Ich habe dir geglaubt, Laghanos! Ich glaubte an den Frieden deiner neuen Welt, an eine bessere Zukunft ohne Kriege. Aber du hast uns in die Irre geführt. Wieder gehen Kathyger und Gyraner, Candacarer, Arphater und Sitharer aufeinander los, wie auch auf Gharax.«
Um ihn lagen die Gefallenen; viele Kathyger, doch die meisten waren Gyraner. Ein Dutzend Igrydes war ihnen entgegengelaufen. Ihre Brashii hatten das schaurige Lied des Krieges gesungen, und so war es zum Zusammenstoß gekommen, unter den Masten der gestrandeten Schiffe. Eshandroms Krieger waren ihnen an Köpfen weit überlegen gewesen. Ein kurzes, bitteres Scharmützel … nun herrschte wieder Stille auf dem Acker. Die Kathyger hatten gesiegt. Aber alle Hoffnung, die Eshandroms Rede in ihren Herzen gesät hatte, war verflogen. Mit gesenkten Köpfen standen sie um ihren König, während die Sonne dem Horizont entgegensank.
Zwei Krieger zerrten einen Gefangenen herbei. Ein weiterer Igrydes. Sein Gesicht war geschwollen, ein Schwertstreich hatte ihm die Wange aufgeschlitzt. Er keuchte, blickte jedoch ohne Furcht zu Eshandrom auf.
»Das Schicksal hat uns ein zweites Mal zu Nachbarn bestimmt«, sagte dieser kühl. »Aber nun wird Kathyga nicht länger vor Tarnac dem Grausamen kuschen. Seine Kriegslust muss mit Gharax untergehen.«
Der Igrydes schüttelte den Kopf. »Du beschimpfst unseren Bruder und bist doch selbst kaum besser. Warum habt ihr uns angegriffen? Wir suchten keinen Kampf, nur nach Überlebenden, nach neuen Untertanen für den wahren König …«
Eshandroms Mundwinkel zuckten. »Lüg nicht! Der Klang eurer Brashii verrät eure Absichten seit Jahrhunderten! Krieg, Wortbruch, unversöhnliche Feindschaft – das sind Tarnacs Leidenschaften. Ich kenne sie gut.«
»Du irrst dich … unser Bruder sucht Frieden … er sammelt alle um sich, die das Kind Laghanos herbeiführt hat, und lässt sie nach Venetor bringen.« Der Igrydes versuchte sich aufzurichten, aber die Kathyger zwangen ihn zu Boden. »Auch ihr müsst uns folgen! Legt eure Waffen nieder, beugt euch Tarnac dem Herrlichen, dem letzten der Könige … dem ersten des neuen Zeitalters. Er ist der Statthalter des Kindes Laghanos.«
Eshandrom packte ihn am Kiefer. Seine Finger gruben sich in die offene Wange. Der Igrydes keuchte auf.
»Hör mir gut zu«, sagte der König. »Merk dir die Worte, die ich Tarnac von Gyr überbringen will. Wenn einem die Ehre zukommt, sich als Statthalter des Kindes zu bezeichnen, dann mir: Eshandrom, dem König von Kathyga. Tarnac soll nicht glauben, er könne ungestraft alle Macht an sich reißen. Wenn er es versucht, so muss er sich mir im Kampf stellen. Das richte ihm aus.«
Er stieß das Schwert vor dem Igrydes in den Grund. Tief drang die Klinge in den Schlamm ein. Dünne Halme blieben an ihr kleben; zarte Wurzeln, jäh durchtrennt vom Stahl.
KAPITEL 8
Krebse
Im Sand kroch ein Krebs. Seine Scheren tasteten die Halme am Flussufer ab, legten die Wurzeln frei, um Schneckeneier aufzuspüren. Sein Panzer war rot und pockig; auf ihm klebte
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