Splitternest
Alle sollen dir folgen, alle sollen dir ihr Leben verdanken. Und das tun wir … wir danken unserem Retter, unserem Wegführer.«
Ihre Worte gingen im Prasseln der Steinsplitter unter, die ringsum wie Funken aufsprangen.
»Wollt ihr ihm treu sein?«
Laut hallte die Stimme des Priors durch den Burghof. Sie wurde von den wuchtigen Mauern zurückgeworfen. Die Menge blickte schweigend zur Terrasse auf, wo Levaste die Arme ausgebreitet hatte. Er bot einen scheußlichen Anblick; seine Haare, sein Gesicht, die Kutte waren blutbesudelt. In den Augen glomm Wahn; ein tödlicher Funke, der mit jedem Wort auf die Zuhörer überzuspringen drohte.
»Wollt ihr Tathril treu sein? Ihm, der euch schuf, dem ihr euer Leben verdankt, der euch beschützt?« Zornig starrte Levaste auf die Menge. »Ach, ich höre keine Antwort, keinen Aufschrei. Ihr schweigt und wagt es nicht, euch zu ihm zu bekennen. Elend seid ihr und feige! Wem gilt eure Treue? Jenen, die euch falsche Versprechen machen und von Gharax fortlocken … oder ihm, der euch retten will? Gharax ist sein Geschenk an die Menschen. Doch er stellt uns auf eine harte Probe. Der Zorn der Sphäre, die Ankunft der Goldéi … all das ist eine Prüfung, und Schande über alle, die fortlaufen, die sich duckmäuserisch von Tathril abwenden! Er sieht auf euch herab! Heute ist sein Tag, an dem er Ernte halten will. Gebt ihm, was ihm zusteht; euren Schmerz, eure Hingabe, euer Leid! Denn Tathril ist die Sphäre, und die Sphäre fordert Tribut.«
Drei Priester traten vor. Sie trugen einen Kessel; in ihm schwappte kaltes Blut. Gelbe Blätter schwammen darin; die Blüten des Dumkrauts. Sie verhinderten seine Gerinnung. Nun tauchte Levaste die Hand in den Kessel, schleuderte sie über den Rand der Terrasse. In zähen Tropfen regnete Blut auf die Köpfe der Menschen herab.
»Warum prüft er uns auf diese Weise? Warum geißelt er uns und lässt es zu, dass die Goldéi Gharax verheeren? Weil wir es an Treue vermissen ließen! Stand auf dieser Terrasse nicht einst der Verräter Vinnor und zahlte mit Blut für seine Vergehen? Damals wandelte Sithar noch auf dem rechten Pfad. Die Bathaquar pries Tathril mit hehren Worten, und das Volk dankte ihm für die Befreiung vom Joch. Jeder war bereit, dem eigenen Leib ein Opfer abzuringen. Blut für Tathril! Blut für die Sphäre!«
Wieder senkte der Prior die Hand in den Kessel und schenkte den Menschen den roten Regen. In langen Fäden klatschte er auf die Köpfe nieder, und auf mancher Stirn blieb die feine Blüte des Dumkrauts haften.
»Aber dann wandte sich der Silberne Kreis von Tathril ab. Die Bathaquar wurde verbannt und verleumdet. Was ist aus uns Menschen nur geworden? Warum feiern wir den Tag der Ernte nicht mehr? Am Fluss vergießen wir Wein und Honig; kümmerliche Gaben, die der Sphäre nicht würdig sind. Denn Tathril dürstet es nach Blut. Selbst die Arphater, die falschen Göttern huldigen, tränken ihren heiligen Fluss Nesfer mit dieser kostbarsten aller Gaben. Und heute, am Tag der Ernte, werden auch wir dieses Opfer erbringen. Wir werden Tathril unsere Treue beweisen!«
Das fürchterliche Schweigen im Burghof hielt an. Auch auf der Terrasse herrschte Stille. Sechs Priester warteten hinter Levaste, zudem zwei troublinische Gildenkrieger und Talomar Indris, der Pfortenritter. Seine Hand ruhte auf dem Griff seines Schwerts. Er beobachtete die Bathaquari. Doch immer wieder streiften seine Blicke die drei Mädchen, die am Turmeingang warteten.
Sinsala, Banja und Marisa waren totenbleich. Sie betrachteten den Prior mit Abscheu. Marisa und Banja hielten sich an den Händen, und Banja wisperte der kleinen Schwester beruhigende Worte ins Ohr. Sinsala hingegen war in sich gekehrt. Sie vermied es, Talomars Blicke zu erwidern.
Der Pfortenritter runzelte die Stirn. Sinsalas Missachtung ärgerte ihn. Langsam ging er auf das Mädchen zu, während Levaste seine Rede fortsetzte.
»Und wieder frage ich euch: Wollt ihr ihm treu sein? Nur dann werden wir auf Gharax überleben und den Goldéi standhalten. Wenden wir uns aber von ihm ab, wird er uns Gharax entreißen, und nichts wird mehr auf dieser Welt gedeihen! ›Der Rosenstock trägt keine Blüten mehr‹ … dies sind die Worte der Prophezeiung. Sie mahnen uns zur Treue!«
Talomar stand nun vor den drei Mädchen. Er beugte sich zu Sinsala herab.
»Hohles Geschwätz«, raunte er. »Es sind dieselben Lügen, die man uns in Imris erzählt hat. Ich habe sie lange genug geglaubt.«
Sinsala tat,
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