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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Wangen waren hell gepudert. Sie wirkte gefasst. »Noch sind wir nicht in Sicherheit. Die Priester werden uns nicht einfach ziehen lassen. Unser Plan kann scheitern.«
    »Du hast recht«, gab Orusit zu. »Wir müssen darauf vertrauen, dass dieser Ritter die Wahrheit sagte. Wenn Talomar Indris die Priester tatsächlich stürzen will, wird der Tumult groß sein.« Er runzelte die Stirn. »Ich kenne Talomar von früher. Er hat eurer Mutter lange den Hof gemacht, und zu euch war er immer gut – ein aufrechter, stolzer Mann. Ich denke, wir können ihm vertrauen.«
    Sinsala schüttelte den Kopf. »Ich mag ihn nicht. Er behauptet, unsere Mutter zu lieben. Aber ich denke, er liebt nur sich selbst.« Sie sah Orusit flehend an. »Sag ihm nichts davon, dass Mutter zurückgekehrt ist. Er braucht es nicht zu wissen.«
    »Keine Angst, ich habe ihm nichts verraten. Alles ist vorbereitet für eure Flucht.« Orusit humpelte in der engen Kammer umher. »Die Wachen am Tor wissen Bescheid. Wenn das Chaos ausbricht, wird man euch aus der Burg schaffen.«
    »Aber die Priester lassen uns doch nicht aus den Augen«, warf nun Banja ein, die Zweitälteste. »Wenn sie bemerken, dass wir wegrennen, bringen sie uns um.«
    »Rede keinen Unsinn«, herrschte Sinsala sie an. »Sie werden schon nichts merken. Mir machen nur diese Pfortenritter Angst … Talomars Männer.«
    »Sie werden mit Levastes Anhängern genug zu tun haben«, beruhigte sie Orusit. »Ich habe mit Talomar gestern Nacht lange gesprochen. Er sagte, dass ihm zwanzig Männer gehorchen, ein Dutzend Pfortenritter und einige Freunde aus Gehani. Ihnen stehen mindestens dreißig bewaffnete Troublinier gegenüber. Selbst wenn die Überraschung auf ihrer Seite ist – so schnell wird der Kampf nicht entschieden sein. Ihr müsst die Gunst der Stunde nutzen und fliehen, zum Torhaus, dann zum Strand und zum Splitternest, wo eure Mutter auf euch wartet. Haltet nicht inne, blickt nicht zurück. Habt ihr mich verstanden?«
    Banja eilte auf ihn zu. »Und du, Onkel? Was wird aus dir?« Sie schmiegte sich an ihn. »Wirst du nicht mit uns gehen?«
    »Du weißt, ich bin nicht gut zu Fuß«, erwiderte Orusit trocken. »Ihr müsst ohne Begleitung fliehen. Je weniger Leute wissen, wohin ihr geht, desto sicherer seid ihr.«
    Er lauschte. Vor der Tür hörte er wieder die Schritte der Gildenkrieger.
    »Kein Wort mehr«, befahl er. »Wir machen alles so wie besprochen. Pass auf dich auf, Sinsala. Rette dich und deine Schwestern, und trage den Namen Geneder mit Stolz.«
    Die Schritte wurden lauter. Jemand drückte die Klinke der Tür und stemmte sie auf. Ein Priester spähte in die Kammer.
    »Der Prior bittet die Kinder, an den Festlichkeiten teilzunehmen.« Seine Worte ließen keinen Widerspruch zu.
    Orusit strich Banja über den Kopf. »Sag deiner Großmutter Lebewohl.«
    Banja schritt zum Bett und beugte sich über die schlafende Frau. Dann küsste sie Hjeles Wange. Eine Träne tropfte auf das Kissen. Neben ihr kletterte Marisa auf das Lager. Auch sie küsste die alte Frau und flüsterte Worte des Abschieds.
    »Wir müssen gehen«, mahnte der Priester. »Ihr könnt am Abend eure Großmutter herzen!«
    Als letzte verabschiedete sich Sinsala. Sie streichelte das Haar der Greisin, lauschte ihrem Atem. Ihre Lippen berührten Hjeles Ohr.
    »Ich vergesse dich nicht«, wisperte sie. »Ich will so alt werden wie du, so klug und würdig. Gib mir die Kraft dazu.«
    Der Priester schritt zornig in den Raum und riss sie vom Bett zurück. »Hast du mich nicht gehört, Göre? Heute ist der Tag der Ernte! Willst du Tathril warten lassen?«
    Sinsalas grüne Augen blitzten auf. Aber sie sagte kein Wort, sondern nahm ihre Schwestern an die Hand.
    »Bis bald«, sagte sie zu ihrem Großonkel.
    »Bis bald, meine Kleinen.«
    Der Priester drängte sie zur Tür und auf den Gang. Orusit war nun mit Hjele allein. Er wartete, bis die Schritte verklungen waren. Dann setzte er sich auf das Bett seiner Schwägerin.
    »Sie sind sehr tapfer, alle drei; mutig wie ihr Vater und klug wie ihre Mutter. Wir können stolz auf sie sein.«
    Er zog vorsichtig das Kissen unter Hjeles Kopf weg. Er sackte auf das Laken, und die Schlafende murmelte einen Namen.
    »Baniter … mein Junge …« Sie befeuchtete die Lippen mit der Zunge, wälzte sich im Schlaf umher. »Baniter …«
    »Er hat uns im Stich gelassen«, raunte Orusit, »und unserer Familie nicht ihre Ehre zurückgeben können. Seinen Töchtern wird es vielleicht gelingen. Wir aber sind

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