Splitternest
»Für uns gibt es keine Zukunft. Mein Herz gehört meinen Töchtern und dem Mann, den ich liebe. Ich werde ihm treu bleiben.«
»Treu? Baniter hat dich doch längst vergessen!« Talomars Mundwinkel zuckten. »Und deine Töchter? Ich war es, der ihr Leben gerettet hat! Frage Sinsala! Die Priester wollten ihr Blut für Tathril vergießen! Ich habe es verhindert!«
Jundala sah ihre älteste Tochter an.
»Er spricht die Wahrheit«, sagte Sinsala mit fester Stimme. »Aber er kam nicht nach Gehani, um dich zu finden. Er kam, um sich zu rächen. Und wären wir ihm nicht entkommen, hätte er dies auch getan. Er hätte uns für seine Enttäuschungen büßen lassen; erst mich, dann Banja und am Ende auch Marisa.« Wut glomm in ihren Augen. »Er liebt nur sich selbst und seinen Schmerz.«
Talomar taumelte, als hätte eine Ohrfeige ihn getroffen. »Glaube ihr nicht, Jundala. Ich liebe dich, allein dich! Seit ich dich sah, seit ich denken kann … ich hätte dich Baniter nicht überlassen dürfen! Ich hätte um dich kämpfen sollen …«
»Hör doch auf«, bat Jundala. Sie packte seine Hand. Ihr Griff war stark; die Finger bohrten sich unter den zerfetzten Handschuh. »Du sprichst wie ein Kind, wie der kleine Junge, der du damals warst. Und so war auch deine Liebe zu mir. Kindisch und dumm.« Ihre Augen funkelten. »Werde erwachsen, Talomar. Lass endlich los.«
Sie riss ihm den Handschuh herunter. Die Mondsichel flog empor, glitzerte in der Sonne.
Talomar schluchzte. »Ich liebe dich … ich …«
Ringsum hörte er das Klirren der Splitter. Es war wie damals auf Suuls Nacken, als er in das Herz der Quelle geblickt hatte. Die Macht der Sphäre … ihre böse Macht erfasste ihn. Die winzigen Steine prasselten auf ihn nieder, durchdrangen seine Kleider, seinen eisernen Helm, das Lederwams. Er stieß einen Schrei aus.
»Jundala …«
Die Splitter schnitten ihm das Wort ab. Ein peitschender Regen riss den Ritter zu Boden, schleuderte ihn auf die Steine.
Sein Körper begann zu kreisen. Das Splitternest trug ihn und nahm ihn in sich auf. Seine Glieder verdrehten sich; der Nacken gab knirschend nach, als die Scherben sich unter die Haut bohrten.
»Seht nicht hin.« Jundala hatte sich den Mädchen zugewandt. In ihrer Hand baumelte die Kette mit der Mondsichel. »Die Sphäre holt ihn zu sich …«
Sinsala stellte sich vor ihre Schwestern und verdeckte die kleinen Gesichter. Banja und Marisa weinten und zitterten am ganzen Leib.
»Du hattest recht, Sinsala. Wir müssen die Sphäre hinter uns lassen. Wir dürfen uns ihr nicht länger ausliefern.« Jundala betrachtete die Mondsichel in ihren Fingern. Ihr Glanz wob einen dünnen Faden aus Licht, zart wie ein Mondstrahl, der sich nur ihren Augen zeigte, nur für sie zu erkennen war. Sie wusste nun, welch kostbares Geschenk ihr Talomar gemacht hatte. Es hatte ihr den Weg gezeigt, um der Sphäre zu entkommen, ohne dass Laghanos sie finden würde.
»Wir werden zusammenbleiben, was auch geschieht, und euren Vater finden.« Sie streckte die Mondsichel der Sonne entgegen. »Wir sind Geneder. Wir lassen uns nicht auseinander reißen.«
Sie beobachtete die neue Spur, die sich in der Sphäre aufgetan hatte; verhaltener, zarter, unscheinbarer als die Fußstapfen Durta Slargins.
Es waren Mondschlunds geheime Pfade. Die Pforten der Stadt aller Städte. Die letzte Zuflucht der Menschen von Gharax.
KAPITEL 11
Hunde
Lautes Geheul, blutgieriges Geifern. Schwarze Tatzen schabten auf den Stufen, hinterließen schmale Rillen im Gestein. Die Meute hetzte die Treppe hinab. Ihre Kiefer krachten aufeinander. Einige der Hunde bissen sich gegenseitig in die Flanken, ausgehungert und voller Mordlust.
Die Halle der Bittersüßen Stunden glänzte im Sonnenlicht. Die gläsernen Türme, die sich über dem Badhaus erhoben, reflektierten die Strahlen und verstärkten den Glanz. Doch so freundlich die Sonne auch leuchtete, sie konnte nicht die Zeichen des Niedergangs verbergen. Überall auf Varas Straßen kauerten die gefallenen Geister des Verlieses. Mit bebenden Händen und hängenden Köpfen lehnten sie an Mauern, lagen auf dem Pflaster, in Rinnsteinen, in halb vertrockneten Kanälen, die goldenen Augen zum Himmel gerichtet. Sie waren geschwächt und konnten ihre Glieder kaum rühren. Nur die Lippen bebten.
»WIE SCHÖN SIE IST, UNSERE STADT … SING UNS VON IHR, MONDSCHLUND … EIN LETZTES MAL … VERLASSE UNS NICHT!«
Aber Mondschlund schwieg. Sein Lied war verhallt. Über ihnen war kein
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