Splitternest
Nachthimmel, sondern die strahlende Sonne. Ihre Köpfe warfen keine Schatten auf die Straßen. Alle Macht war verblasst, und die Schatten, die sie begleitet hatten, waren in das Verlies zurückgekehrt.
»MONDSCHLUND … VERLASSE UNS NICHT!«
Nun näherte sich die Meute. Das wütende Kläffen wurde von den Hauswänden zurückgeworfen. Schon wetzte ein schwerer Körper mit schwarznassem Fell auf die Geister zu.
Schaum vor dem Maul; gierige Zähne, die sich in die Schulter des erstbesten Opfers gruben.
»VERLASSE UNS NICHT, MONDSCHLUND …«
Die Augen des Geistes zerschmolzen. Seine Stimme erstarb. Das Geräusch berstender Wirbel, herabklatschenden Blutes, zerreißender Haut. Starre Körper sanken auf das Pflaster und wurden von den Hunden herumgeschleudert wie Puppen.
Dann knallten Stiefel. Ein wehender, schwarzer Mantel. Die Enden eines Barts, die im Takt wuchtiger Schritte tanzten.
Fürst Binhipar Nihirdi durchmaß mit langen Schritten die Gasse. Sein Mund war verhärmt, die Nasenflügel blähten sich. Der rechte Arm war in Blut getaucht, die Finger umklammerten einen Messergriff.
Hinter ihm klirrten die Glieder einer Kette auf den Steinen. Der Fürst hatte sie sich um die Taille geschlungen. So schleifte er seinen Gefangenen hinter sich her – eine Nebelgestalt, die von silbernen Drähten zusammengehalten wurde. Es war der Scaduif Quazzusdon, den die Arphater einst Uliman geschenkt hatten. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sein Kopf rumpelte über das Pflaster, die schwarzen Augen waren leer. Den Fürsten kümmerte es nicht.
»Verrat und Zauberei. Damit hat man uns zugrunde gerichtet. Alles, woran wir glaubten. Alles, wofür wir kämpften.« Binhipars Stimme klang dumpf. »Die Ahnen warnten uns, aber wir hörten nicht auf ihre Worte. Nun stehen wir in Sithars Trümmern. Das Reich der Gründer … zerfallen, zersplittert! Und Vara, das Herz des Südbunds, fiel dem Verrat zum Opfer. Geschändet durch Zauberei, verseucht von Geistern … das ist dein Werk, Baniter Geneder! Ich weiß es! Ich fühle es!«
Die Hunde sprangen beiseite, als Binhipars Blick sie streifte. Einige der Geister, die sie gerissen hatten, rührten sich noch, auch wenn sie aus mehreren Wunden bluteten. Nun packte Binhipar einen von ihnen am Schopf und starrte ihn an.
»Du kennst seinen Namen, Geschöpf! Baniter Geneder … er hat dich zu uns geschickt! Nicht tot und nicht lebend, kein Mensch und kein Leichnam – will er uns etwa verhöhnen?« Binhipars Mundwinkel zuckten. »Dieses groteske Schauspiel endet nun. Sieh mich an!«
Er hob das Messer.
»verschone mich«, murmelte der Geist, eine Frau in der schlichten Tracht der varonischen Bürgerschaft. Sie musste jung gewesen sein, als die Schatten sie geholt hatten; das Haar in Binhipars Faust war dicht und lockig, »lass uns NICHT BÜSSEN FÜR MONDSCHLUNDS VERSAGEN … SEIN GESANG ERREICHT UNS NICHT LÄNGER … ACH, WÄREN WIR NUR BEI IHM GEBLIEBEN … UNTEN IM VERLIES …«
»Dann kehre dorthin zurück, Geist!«
Binhipar zog ihr das Messer über den Hals. Dickflüssiges Blut sprudelte über seine Hand. Er schüttelte es von der Klinge ab.
»Hörst du mich, Baniter?« knurrte er. »Ich schreite durch die Stadt, die du verraten hast. Ich reinige sie von deinem Gift! Du wirst das Erbe der Gründer nicht länger besudeln!«
Er zerrte einen zweiten Geist zu sich empor, öffnete auch ihm mit einem Schnitt die Kehle. Dann schleuderte er den Körper achtlos fort und stieß einen hellen Pfiff aus. Schon stürzten die Hunde herbei und zerrten an den leblosen Gliedern. Binhipar lauschte ihrem Mahl mit grimmiger Freude.
»Ihr alle, die ihr Sithar zerstört habt«, brüllte er zu den gläsernen Türmen empor, »Menschen und Geister, Verräter und Feiglinge … ich warte auf euch!«
Trübe schwappte das Wasser in den Straßen, kräuselte sich im Wind, der von den Dächern herabpfiff. Ein fauliger Geruch lag in der Luft. Mücken schillerten in der Sonne und trieben in Schwärmen über dem Sterbenden Vara, auf der Suche nach warmen Körpern, nach Leben. Und Vara, jene Stadt, die auf geheimnisvolle Weise mit anderen Städten verschmolzen war, die Mondschlunds Geschenk an die Menschen und ihre letzte Zuflucht war, hatte diesem Sumpf, dieser nässenden Wunde in ihrer Mitte längst nachgegeben. Sie vertraute ihm immer weitere Straßen und Kanäle an. Das ölige Wasser kroch vorwärts und ergriff Besitz von weiteren Stadtvierteln; küsste die Pforte eines Tempels, dessen Priester
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