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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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ihr bei mir. Ich hatte Angst um euch. Geht es euch gut? Seid ihr …«
    »Was ist mit deinen Augen geschehen?« fragte Sinsala. Sie erwiderte den Händedruck nicht.
    »Achte nicht auf sie«, bat Jundala. Sie zog das Mädchen zu sich heran, drückte sie an ihre Brust. Sie spürte ein Zittern durch Sinsalas Körper gehen, hörte sie schluchzen. »Bist du mir gram, weil ich dich in Gehani zurückließ? Verzeih mir, Sinsala. Ich hätte dich nicht allein lassen sollen, nicht mit dieser Verantwortung. Aber nun bin ich bei dir und bringe euch fort … durch die Sphäre … zu einer neuen Welt …«
    Sinsala löste sich aus der Umarmung. »Eine neue Welt?
    Auch dort wird es Priester und Zauberer geben, die uns zum Gehorsam zwingen – so wie Levaste. Ich will das nicht mehr!« Sie sah die Mutter argwöhnisch an. »Was hat deine Augen verändert? War es die Sphäre? War es Tathril?«
    Jundala schüttelte den Kopf. Sie wusste keine Antwort.
    »Ich will das nicht mehr«, wiederholte Sinsala. »Und ich werde nicht ohne Vater gehen! Er vermisst uns – und wir ihn!«
    »Das weiß ich, Sinsala. Auch ich vermisse ihn. Und ich wünschte, wir könnten zu ihm gelangen. Aber Baniter ist an einem Ort, den wir nicht finden können.« Auf ewig gefangen in der Sphäre, verflucht dazu, Mondschlund zu dienen und über die Stadt aller Städte zu herrschen. Nun, da sie die Sphäre durchschritten hatte, verstand sie Laghanos’ Worte. Die Tore der Stadt Vara, in der Baniter gefangen war, hatten sich geschlossen. Niemand konnte sie öffnen.
    »Wir müssen es wenigstens versuchen«, forderte Sinsala. »Wir müssen füreinander eintreten und füreinander kämpfen. Sind wir nicht Geneder? Die Nachfahren der Gründer?« Sie blickte die Mutter trotzig an. »Ich werde dir nicht durch die Sphäre folgen, niemals! Was immer auf der anderen Seite auf uns wartet, eine neue Welt, eine neue Zukunft – es wird von ihrer Macht durchdrungen sein. Wir müssen sie hinter uns lassen! Wir dürfen unser Leben nicht länger von der Sphäre bestimmen lassen!«
    Ihre Worte waren entschlossen und ihre Gedanken so klar, dass es Jundala die Sprache verschlug. Auch Banja und Marisa sahen erschrocken zu ihrer Schwester auf. Mochten sie den Sinn ihrer Worte auch nicht begreifen, so spürten sie doch die Wut, die in Sinsala tobte.
    »Wir können nicht bleiben«, sagte Jundala schließlich, diesmal mit festerer Stimme. »Laghanos würde uns finden. Er will die Menschen hinter sich versammeln. Niemand darf sich ihm ungestraft widersetzen.«
    Sie schloss die Augen. Ein Meer aus Farben umfloss sie, und sie erkannte die glühende Fußspur, die zu Sternengängers neuer Welt zurückführte.
    Seine Macht ist groß … wenn ich mich von ihm abwende, wird er es spüren. Er wird kommen und mich töten, und auch meine Kätzchen.
    Sie rang um eine Entscheidung.
    Ein klirrendes Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Die Steinscherben des Splitternests hatten sich aufgerichtet. Roter Padril und grüner Zindrast, gelber Salphur und schwarzes Sithalit … sie glommen in der Sonne wie Nadelspitzen. Einige Splitter sprangen auf, zischten wie Funken durch die Luft.
    Banja und Marisa klammerten sich aneinander.
    »Kommt zu mir«, befahl Jundala. Sie breitete schützend die Arme aus. »Jemand ist euch gefolgt.«
     
    Talomar verlor den Halt. Erdbrocken und Kiesel lösten sich unter seinen Schuhen und rollten den Hügel hinab. Im letzten Augenblick krallte sich seine Hand um einen Wurzelstrunk. Er hielt sein Gewicht.
    »Ihr entkommt mir nicht«, knurrte er. »Ich finde euch!«
    Er betrachtete seinen zerfetzten Handschuh. Die Goldfäden des eingestickten Krebses hatten sich vollständig aufgedröselt. Nur die Scheren waren auf dem Leder zu erkennen. Er konnte sich kaum noch entsinnen, wie die Stickerei ausgesehen hatte. Wie vergänglich war doch die Erinnerung! Er hatte so vieles vergessen. Jundalas Gesicht. Ihre Abschiedsworte, damals in Gehani. Der letzte Kuss ihrer Lippen, ehe er fortgegangen war. Suuls Hauch hatte alles in ihm abgetötet, und sein Herz war kalt und grausam geworden im Eis von Aroc.
    »Gleich bin ich bei euch«, zischte er, während er sich an der Wurzel emporzog. »Ich finde euch!«
    Er hatte die Mädchen aus der Ferne erspäht, als er mit seinem Pferd den Dumer entlanggeprescht war. Sinsalas weißes Kleid; die wehenden Haare ihrer Geschwister. Talomar lächelte hämisch. Wie rasch hatte er sie doch eingeholt; die Spuren im Sand hatten sie verraten, und schließlich hatte er

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