Splitternest
musste ich auf Wanderschaft gehen. Jemand musste die Quellen binden, und das konnten nur jene sein, die die Sphäre kannten.«
»Mondschlund und Sternengänger?« fragte Baniter vorsichtig.
»Selbstverständlich.« Durta Slargin rückte die Kerze zur Seite, so dass eine weitere Gestalt aus der Dunkelheit hervortrat: ein dicklicher Mann, seine Haut dunkel wie die seine, das Haar an den Seiten geschoren. Seine Nase war grob, die Gesichtszüge hatten etwas Selbstgefälliges. Entrückt blickte er zur Saaldecke empor, seine Lippen bewegten sich. Er war es, der jenes schmerzliche Lied sang …
»Du musst ihn entschuldigen. Mondschlund ist wieder mal abwesend und trällert seine herzergreifenden Weisen. Er hofft noch immer, den Spieß umzudrehen, mich im letzten Augenblick hinters Licht zu führen. Nicht grundlos nennt er sich den Herrn der Schatten … aber er nimmt es oft zu wörtlich. Wer will Sternengänger mit ein paar lachhaften Schatten überlisten?« Durta Slargin räkelte sich auf dem Schemel. »Und so sitzen wir hier in trauter Runde versammelt. Sei willkommen, Luchs von Ganata, auch in Mondschlunds Namen. Dass du hier bist, hast du ihm zu verdanken. Ich warnte dich im Traum davor, dich in unseren Streit einzumischen. Ich riet dir, die Finger vom Schwarzen Schlüssel zu lassen. Aber du wolltest nicht hören.«
Baniter versuchte wieder, die Hände vom Buch fortzuziehen; und wieder gelang es ihm nicht. »Ich glaube dir kein Wort. Du wusstest doch, dass ich eines Tages das Verlies betreten würde. Es war meiner Familie vorherbestimmt.«
»Sicher. Aber meine Idee war das nicht. Mondschlund hat diesen Unsinn ausgeheckt.« Slargin tastete nach einer Schale mit Trauben und schob sich eine verschrumpelte Frucht in den Mund. »Er hat es nie verwunden, dass ich die Quellen gebändigt habe und dass mit Sithar ein Reich entstanden war, das seinem Verlies gefährlich werden könnte. Als der Süden die Fron der nördlichen Königreiche abgeschüttelt hatte, konnte ich Einfluss auf die neuen Herrscher nehmen. Sie trugen ja meine silbernen Ketten, die ich ihren Vorfahren zugespielt hatte. Der Silberne Kreis … er machte auf meinen Wunsch Vara zur Hauptstadt und sorgte dafür, dass Teile des Verlieses von der Tathril-Kirche befreit wurden. Und hätte Mondschlund nicht einen der Kettenträger auf seine Seite gezogen, wäre das Verlies noch immer dort, wo es hingehört: in der Tiefe.« Er zerkaute andächtig die Traube und schluckte sie hinunter. »Weißt du, Baniter, du sollst nicht glauben, dass Mondschlund und ich uns hassen. Wir waren enge Freunde; wir haben gemeinsam die Menschheit befreit. Kahida war unsere Lehrerin, doch sie wollte die Menschen in Athyr’Tyran gefangen halten. Wir aber wählten die Freiheit! Wir holten den Schwarzen Schlüssel aus der Sphäre, Stück für Stück … das schwarze Metall, in dem du so hilflos zappelst. So brachten wir die Magie nach Gharax, lehrten die Menschen, sich die Welt Untertan zu machen … ganz behutsam, mit Hilfe der magischen Metalle, deren Macht wir im Lauf der Jahrhunderte erkannten. So bezwangen wir langsam die Sphäre, Mondschlund als Hüter des Goldes, Sternengänger als Hüter des Silbers. Wir wollten nur eine behutsame Veränderung. Die Quellen ließen wir unberührt; wir drängten ihre Ströme nur ein wenig zurück, damit die Menschen sich auf Gharax niederlassen konnten, ohne von der Natur gepeinigt zu werden.« Er sah den Fürsten forsch an. »Ich will, dass du mich verstehst, Baniter! Ich wollte das Beste für Gharax! Hätte Mondschlund mich nicht betrogen, wäre alles gut geworden. Aber er raubte mir den Schwarzen Schlüssel, um sein Verlies zu errichten.« Zornig fuhr er Mondschlund an: »So war es doch, du Hund! Du hast dir den Schlüssel genommen, um eine Stadt aus dem Sphärenmetall zu formen. Und unter den Menschen hast du Lügen verbreitet: die Legende von einer neuen Stadt, einem zweiten Athyr’Tyran.« Durta Slargin war nun richtig wütend geworden, riss an den Ketten und fegte die Schale mit den Trauben beiseite. »Er wollte die Menschen zu Gefangenen machen, Baniter! Ich suchte überall nach ihm und dem Schwarzen Schlüssel … aber er hatte sich seines Körpers entledigt, ich fand nur noch seine Spuren. Einen Leuchtturm, errichtet im Silbermeer … eine Mauer, erbaut auf Siccelda im Nordmeer. Die ersten Bauten seiner scheußlichen Stadt. Überall waren seine Legenden zu hören; die Menschen wisperten am Lagerfeuer von einer prächtigen Stadt, die da
Weitere Kostenlose Bücher