Splitternest
Mondschlunds Gesang hallte durch den Saal, vermischte sich mit dem Pfeifen des Windes. Ringsum stöhnten die Tischgenossen auf, flehten Baniter an, nicht auf Sternengänger zu hören, ihm nicht zu trauen und nicht aus dem Buch zu lesen.
Baniter atmete die glühende Luft ein. Mühsam befeuchte er Zunge und Lippen. Senkte den Blick.
Die Luchszeichen im Buch glommen hell. Sie warteten darauf, mit Sinn erfüllt zu werden. Die Geschichte musste weitererzählt werden.
Baniter las.
»Du liebst sie, die Dunkelheit. Sie umgibt dich wie ein Schleier, dämpft deinen Schmerz, betäubt deine Sinne. Du fühlst dich in ihr geborgen, Laghanos!«
Laghanos weinte. Er spürte Flammen über sein Gesicht lecken, die unerträgliche Hitze des Knochens, den Rumos auf seine Maske gepresst hatte … das Feuer brannte unter ihr, die goldenen Sporne zupften seine Gesichtshaut und wanden sich vor Zorn. Drähte zerrten an seinem Leib. Das Gefüge riss ihn zurück, damit er nicht fiel, nicht taumelte, nicht in der Dunkelheit verloren ging. Sein Geist schien an einem einzigen silbernen Draht zu hängen, der ihn mit dem Ewigen Spektakel verband … dort, wo sein Körper geformt und sein Fleisch in die Sphäre übergetreten war.
»Du liebst die Dunkelheit … nach dem langen Weg, den du schreiten musstest, kehrst du zurück. Zurück zu uns.«
Es war der Rotgeschuppte, der ihn rief; Aquazzans Stimme, die ihn so lange begleitet, ihn so vieles gelehrt hatte. Und während die Flammen seine Augenhöhlen ausbrannten, rief Laghanos angstvoll den Namen des Scaduif, flehte ihn um Hilfe an.
»Aquazzan! Das Feuer … es zehrt mich auf! Hilf mir!«
… der Rotgeschuppte, der ihm versprochen hatte, niemals mehr leiden zu müssen; der ihm enthüllt hatte, mit welchen Lügen die Zauberer ihn gefügig gemacht hatten, als er ihr Schüler gewesen war. Benutzt und belogen, gequält und geschunden … war er noch jenes Kind, das die Goldéi damals aus der Universität von Larambroge entführt hatten? Das Kind, das Drafurs Maske und Mantel trug, dessen Leib die Drähte des Gefüges umschlossen und dem das Heer der Beschlagenen folgte? War er zu Drafur selbst geworden, wie Aquazzan es geflüstert hatte: auserkoren zum Retter der Menschen?
Bin den Goldéi längst ähnlicher als ihnen. Bin kein Mensch mehr, kein Wesen, das zu dieser sterbenden Welt gehört.
Während das Feuer des Knochens seine Maske verschmorte, wurde sein Geist fortgerissen, tief in die Sphäre …
Ihm war, als stünde er auf einem Pfad inmitten eines Walds, um ihn nächtliche Finsternis. Vielleicht war es der Arkwald mit seinen unheimlichen Tannen, verwachsenen Sträuchern und faulenden Baumstümpfen … der Wald, in den die Goldéi ihn damals verschleppt hatten. Unter den Füßen spürte Laghanos Zweige und Laub, der Wind rauschte in den Baumkronen, und durch das Geäst schien der Mond. Vor ihm ruhte eine Kiste mit seltsamen Ausbuchtungen. Es war dieselbe Kiste, in die ihn die Goldéi gesperrt hatten, nachdem sie ihm Drafurs Maske aufgezwungen hatten. Der Deckel war zur Seite geschoben; Nebel stieg empor. Zwei dunkle Augen glommen in ihm auf. Zunächst glaubte Laghanos, den Rotgeschuppten vor sich zu sehen, verwandelt in seine Nebelgestalt. Doch als der Dunst sich legte, stand vor ihm ein dunkelhäutiger Mann, in der Hand ein Wanderstab, eine Flickenhaube auf dem krausen Haar. Er blickte Laghanos wehmütig an.
»Du hast dich tapfer geschlagen. All die Schmerzen und Demütigungen … kein Mann hätte sie ertragen können. Armer Laghanos!«
Laghanos schritt ihm entgegen. Seine Füße waren taub, er strauchelte, hielt sich mühsam aufrecht.
»Du hast die Sphäre durchschritten, so wie ich … doch deinen Körper hat sie nicht zerfressen.« Der Mann lächelte und reichte Laghanos die Hand. »Meine Maske hat dich beschützt, mein Mantel durch die Quellen getragen – bis nach Tyran! Ich bin stolz, so stolz auf dich.«
Laghanos zitterte am ganzen Körper. »Du bist Drafur!«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Das bist längst du, Laghanos. Du bist der, den ich den Goldéi verhieß und der den Menschen den Frieden bringt.«
Laghanos brach in Tränen aus. »Ich kann es nicht länger ertragen. Nimm diese Last von mir … ich bitte dich.«
Das Antlitz des Mannes erstrahlte vor Güte. »Keine Angst, dein Weg endet hier. Ich entfliehe meinen Ketten und reiche dir die Hand. Du musst sie nur ergreifen.«
Laghanos sah auf die Hand, die der Mann ihm entgegenstreckte. Er wusste nun, wer er
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