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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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war; hatte sein Bild unzählige Male gesehen, in den Schriftrollen der Universität von Larambroge, auf den Wänden von Oors Caundis …
    Von einem inneren Zwang getrieben, wandte sich Laghanos von ihm ab. Blickte hinter sich.
    »Sieh nicht zurück!« zischte Durta Slargin. »Sieh auf mich, Laghanos!«
    … und hinter ihm, abseits des Pfads, halb verborgen im Gestrüpp, standen jene, die er auf seiner Wanderschaft durch die Sphäre zurückgelassen hatte. Dort kniete sein Lehrmeister Sorturo, der Körper von silbernen Adern durchzogen, das runde Gesicht voller Pein; daneben stand Charog, der Großmeister von Oors Caundis, Behüter der Träne des Nordens, sein weißer Bart blutbesudelt, die Augenhöhlen leer. Und da war Naikaya mit ihrem weißgeschminkten Gesicht; sie, die ihn des Nachts durch den Arkwald getragen hatte, seine fiebrige Stirn an ihrer Brust, die ihn nicht wie die anderen Zauberer bemitleidet und verabscheut hatte, die ihm lange vertraut hatte … bis zum Tag, als sie ihn in die Gefälle des Rochens geworfen hatte, hinab zum Heiligen Spektakel. Dort waren auch die Diener des Spektakels; Darsayn und Benris, die Arme zu silbernen Klauen verkrustet, die Augen verdreht, ihre Zungen hingen bläulich aus den Mündern, und Bosnickel strichen um ihre Beine, lachten, schnitten Laghanos Grimassen …
    »Sieh nicht zurück! Sieh auf mich!« Slargins Stimme klang beschwörend.
    … und in der Tiefe des Waldes konnte Laghanos weitere Gestalten erahnen. Einen Mann, der auf einem Schemel hockte und ein Buch in den Händen hielt, aus dem er mit gehetzter Stimme vorlas. Goldene Drähte umflossen seinen Kopf und zwangen ihn, auf die Seiten zu starren; doch diese blätterten sich von selbst um, vom Wind bewegt. Das Rascheln der Seiten mischte sich mit dem Raunen des Lesenden. Neben ihm weitere Gestalten auf gedrungenen Schemeln, kaum zu erkennen in der Finsternis. An den Händen hingen silberne Ketten; sie winkten Laghanos aufgeregt zu, als wollten sie ihn zurückhalten …
    »Komm«, rief Durta Slargin sanft. »Lass sie hinter dir. Du hast genug gelitten. Schreite weiter ohne Furcht.«
    Laghanos wandte sich wieder der Kiste zu. Der Mann mit dem Stab war nicht mehr zu sehen. Doch der Pfad leuchtete freundlicher als zuvor. An seinem Ende kauerte eine Frau, sie trug ein schmutziges Gewand, hatte schwarzes, verfilztes Haar, das ihr Gesicht verdeckte. Sie hob den Kopf und blickte Laghanos an. Ihre Wangen und ihre Stirn waren mit blauen Flecken gezeichnet, abgeschwollene Male einer langen Krankheit.
    »Lass alles hinter dir«, sagte sie. »All jene, die dich meinen Armen entrissen und gequält haben. Komm zu mir.«
    Sie breitete die Arme aus.
    Die Schmerzen schwanden. Eine angenehme Kühle ergriff von seinem Körper Besitz. Seine Füße trugen ihn sicher über das Laub. Er rannte auf sie zu; die Maske löste sich von seinem Gesicht, die Drähte glitten beiseite und ließen ihn los.
    Er war wieder ein Kind, ein kleiner Junge, der mit bloßen Füßen den Pfad entlangrannte. Die Sphäre hinter ihm schwand. Die Tore schlossen sich.
    Er war nun frei.
     
    Baniter las.
    Er erzählte eine Legende; die Legende von Sternengänger, dem Bezwinger der Quellen, der alles für die Menschheit getan hatte und doch dafür bestraft worden war. Ein Schattendämon hatte ihn in ein Verlies gesperrt, das in den Tiefen der Sphäre lag; dort hatte Sternengänger vor sich hin gebrütet, bis ihm der Schlüssel für seine Ketten zugefallen war. So hatte er sie abgestreift und sich davongestohlen, um die Menschen ein zweites Mal zu erretten, die Welt ein zweites Mal zu gestalten …
    Baniter las.
    Seine Augen waren nicht mehr allein auf die Luchszeichen gerichtet. Immer wieder schweiften sie ab, huschten durch den dunklen Saal. Zwar drangen die Worte deutlich aus seinem Mund, aber auf dem Pergament waren sie kaum zu erkennen, blass schimmerten sie zwischen den Luchszeichen. Sie widersprachen der Legende, die Mondschlund von ihm hören wollte.
    Sternengänger hingegen lauschte mit zufriedenem Lächeln. Er hatte die Augen geschlossen, wiegte den Kopf zu Mondschlunds Gesang, der immer misstönender wurde. Mondschlund selbst zitterte; er bewegte die Hände, als versuche er, einem unsichtbaren Körper etwas überzustreifen, einen Mantel oder ein Tuch. Sein Lied brach plötzlich ab. Er schnaufte, sein schlaffes Gesicht war verzerrt. Doch er erwachte nicht aus seinem Traum.
    »Lies, Baniter«, murmelte Sternengänger. »Lies weiter …«
    Und Baniter las.
    Er

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