Splitternest
ergriffen. »Wir müssen den Ausgang vor ihm finden! Hoffentlich wisst Ihr, was danach geschehen soll. Mit Euren Papierfetzen werdet Ihr diesem Biest wenig Angst einjagen.« Er wollte sich am Schattenspieler vorbeidrängen. Doch dieser hielt ihn zurück.
»Sachte, sachte, mein Freund. Haben wir nicht etwas vergessen?«
Cornbrunn wurde ungehalten. »Vergessen? Wart Ihr es nicht, der mich zur Eile antrieb? Nun kommt, Aldra! Uns bleibt keine Zeit mehr!«
»Die Zeit sollte ausreichen, um dir ein paar Backpfeifen zu verpassen«, höhnte hinter ihm eine Stimme. »Und Ihr, Aldra, nehmt bloß die Laterne herunter. Cornbrunns Schatten macht sich recht hässlich auf den Wänden, was nicht allein an seiner missgestalteten Nase liegt.«
Die Kieselfresser quiekten. Grimm raste wie toll durch den Gang, wo aus dem Dunkel ein Mann hervortrat.
Es war Aelarian. Er humpelte, sein Mantel war zerschlissen, der Bart zerzaust wie in seinen wildesten Tagen. Aber der Großmerkant lächelte so herzlich, als wäre er nur kurz hinter einer Ecke verschwunden gewesen. Er bückte sich und nahm Grimm auf die Handfläche, hielt den vor Freude schnaufenden Kieselfresser an sein Gesicht und ließ sich von ihm ein paar Tatzenhiebe auf die Wange verpassen.
Der Schattenspieler blinzelte. »Nun seht … das überrascht mich, meine Freunde! Aelarian Trurac! Wie konntet Ihr ohne meine Hilfe ins Verlies zurückfinden?«
Aelarian humpelte ihm entgegen, zog aus der Tasche die Scherenschnitte und überreichte sie Aldra. »Eure Schattenfreunde waren gar nicht so übel, wie ich dachte. Sie zeigten mir den Zugang und haben mich sicher durch die Gänge geführt. Und wie ich sehe, seid Ihr mir entgegengegangen.«
Er blickte nun auf Cornbrunn. Seine Augen blitzten frech.
»Selbst meinen plumpen Diener habt Ihr im Schlepptau, Schattenspieler. Ich hoffe, er war Euch keine zu große Last. Ich weiß, er frisst wie ein Scheunendrescher, schläft bis in die Puppen und mault über jede Arbeit, die man ihm aufträgt. Doch so ganz kann man nicht von ihm lassen …«
Cornbrunn schüttelte verdattert den Kopf. »Dabei wäre das ganz einfach. Bezahlt Eurem Diener den Lohn für mehrere Jahre und ein üppiges Schweigegeld, damit er nicht Eure schmutzigen Geheimnisse ausplaudert; etwa, dass Ihr nach einer durchzechten Nacht das Wasser nicht halten könnt oder dass Ihr in schwülen Nächten die schlechtesten Reime plappert, die je ein Troublinier ersonnen hat.«
»Reime?« Aelarian zog die Augenbrauen hoch. »Zugegeben, mein Bester, wenn ich in Laune war, über dich ein paar Reime zu erfinden, mögen diese nicht die besten gewesen sein. Aber was reimt sich schon auf Faulheit und Starrsinn? Dummheit und Doppelkinn?«
Zu ihren Füßen tollten die Kieselfresser, flitzten und purzelten mit überschäumender Lebensfreude über Aelarians Stiefelspitzen. Der Großmerkant hob die Hand. Legte sie auf Cornbrunns Wange. Auf seine Brust. Zog ihn dann mit einem heftigen Ruck an sich und vergrub das Gesicht in Cornbrunns Haar.
Hinter ihnen löschte der Schattenspieler hastig die Laterne. Er wollte die Zeit nutzen, um sie gründlich zu säubern und mit neuem Öl zu füllen. Er war letzten Endes doch ein rührseliger Mensch und höflich genug, um die eigenen Freudentränen vor den vereinten Troubliniern zu verbergen.
Baniter las.
Er wusste nicht, wie oft er sie schon erzählt hatte, die Legende von der Stadt aller Städte, die Legende von einem Kaiser namens Baniter Geneder, der mit seiner Gemahlin über die letzte Zuflucht der Menschen herrschte. Dies waren die Worte, die Mondschlund ihn zu lesen zwang; sein Gesang schmerzlich schön, seine Stimme klar und lockend. Noch immer kauerte Baniter an jenem Tisch in dem dunklen Saal, in den Händen das Buch, um ihn die Geister von Cladimor, Apetha, Darcon und Lyndolin Sintiguren, die in der Dunkelheit wimmerten. Und dort war auch Mondschlund. Baniter konnte ihn aus den Augenwinkeln erkennen; seine feiste Gestalt, das schwarze, grausame Gesicht, dessen Augen geschlossen waren. Und er hörte sein Lied, süß wie nie zuvor.
Der Schwarze Schlüssel aber ruhte schwer in Baniters Händen. Er ließ den Fürsten nicht los. Seine Augen huschten über die Luchszeichen, seine Lippen murmelten die Worte, die auf dem Pergament erschienen, und der heiße Wind, der durch den Saal strömte, blätterte die Seiten um. Er trug feine Sandkörner mit sich; sie blieben an der zähen Tinte der Schriftzeichen hängen.
Baniter las.
Er wusste nicht, wie
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