Splitterseelen
Menschen mit genug Potential, um das Schicksal aller Welten zu wandeln. Oder sagen wir fünf junge Menschen, denn Calael hat ebenfalls einiges zu bieten.“
„Okay, die anderen vier sind also ich, Jason, und …?“
„Denk nach, mein selbstverliebter junger Freund, du weißt es genau.“ Der Alte Mann gluckste amüsiert, was den Boden leicht zum Beben brachte. Jason hoffte, dass diese Kreatur niemals vor Wut laut brüllte, es würde vermutlich ganze Berge zum Einsturz bringen. Wobei es um den Riesenfelsklotz, auf den Mijo ihn geschleift hatte, nicht schade wäre. Seltsam, dass die Spiegelweltler in der Lage waren, ein Geschöpf von solcher Macht gefangen zu halten.
„Hm – Andina hat es drauf, auch wenn ich’s nicht gern zugebe. Ansonsten fallen mir nur Schwachköpfe, Speichellecker und unfähige Clowns auf der Seite der Magier ein“, murmelte Mijo nachdenklich.
„Nirta“, stieß Jason spontan hervor. Jemand, der seine Gedanken überall hinschicken und gestandene Männer mit einem Lächeln in die Knie zwingen konnte, war garantiert weder ein Schwachkopf noch ein Clown.
„So ist es. Fünf Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Euch ist gemeinsam, dass ihr eure Eltern verloren habt, aber statt daran zu zerbrechen, seid ihr stärker als alle anderen geworden. Du, Mijo, wurdest von deinen Eltern misshandelt, missachtet, gedemütigt, beschimpft und schließlich im Stich gelassen, sodass du dich in lebensgefährlichem Terrain behaupten musstest. Deine Eltern, Jason, wurden brutal ermordet. Und auch, wenn du es nicht einmal vor dir selbst zugeben würdest, du fühlst dich von ihnen ebenfalls im Stich gelassen. Sie haben dich nicht vor den Einbrechern beschützt, die dich töten wollten. Dein Vater ist nicht in seinem Bett geblieben, obwohl du ihn angefleht hast.“
„Es hätte keinen Unterschied gemacht, auch wenn er liegen geblieben wäre“, flüsterte Jason erstickt. Verdammt, woher wusste der Alte das? Er hatte innerlich gefleht, kein Laut war damals über seine Lippen gekommen! Der intensive Blick der unmenschlichen Augen schien sich direkt in seine Seele zu bohren.
„Nein, hätte es nicht“, erwiderte der Dämon nach einer gefühlten Ewigkeit. „Trotzdem ist dieses Empfinden da und auch deine neuen Eltern konnten es nicht wegstreicheln.
Andina musste ihr Leben auf der Flucht vor dem eigenen Vater verbringen und wurde dabei von ihrer Mutter nicht mit Liebe überschüttet.
Calael leidet darunter, dass seine Mutter nach dem Verlust ihrer Magie ihrer Erinnerung beraubt und in die Ferne geschickt wurde. Nirta hingegen weiß, dass ihre Mutter ermordet wurde – genau wie alle anderen angeblich Verbannten.“
Schockiert fuhr Jason hoch, doch der Alte fuhr ungerührt fort:
„Das Besondere an euch ist, dass ihr es geschafft habt, eurem angeborenen Wesen treu zu bleiben. Eure Seelen wurden lediglich verletzt, nicht zerstört.“
„Mit mir als gar nicht so kleine und überhaupt nicht bescheidene Ausnahme“, warf Mijo dazwischen. „Es ist außerdem falsch, mich als Mensch zu bezeichnen. Natürlich bin ich nicht ganz vergleichbar mit deiner Pracht, trotzdem bin ich …“
„… zu hundert Prozent ein Mensch.“ Der Alte Mann lachte, als es Mijo die Sprache verschlug. Wie befürchtet begann der Boden zu schwanken und Jason krallte sich erschrocken an Mijo fest. „Dass du nach einer tödlichen Verletzung magisch wieder auferstanden bist, dadurch einige körperliche, nun, nennen wir es Verbesserungen, erfahren hast und in geringem Maße Magie nutzen kannst, ändert nichts an der Tatsache deines Menschseins.“
„Und das Seelending?“, fragte Mijo patzig.
Der Alte Mann seufzte und spielte für einen Moment nachdenklich mit seiner Holzkrücke.
„Nun, wie soll ich es möglichst einfach erklären? Ich meine, soweit ich weiß habt ihr Menschen selbst keine klare Antwort auf die Frage, was die Seele eigentlich ist. Man kann sie nicht sehen, anfassen, messen, wiegen, zerschneiden, festhalten oder wegwerfen. Trotzdem ist sie Dreh- und Angelpunkt nahezu aller religiösen Vorstellungen auf der Erde.“
„Bin weder Pfaffe noch Philosoph, interessiert mich also `n Scheiß“, knurrte Mijo ungeduldig.
Diese Einstellung gefiel Jason überhaupt nicht. Bis jetzt hatte er keine Zeit gehabt, über ihre Standesunterschiede nachzudenken. Er war gutbürgerlich erzogen, mit eher traditionellem Wertesystem, auch wenn er keiner Kirche angehörte und an Gott nur als theoretische Möglichkeit glaubte. Er
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