Splitterwelten 01 - Zeichen
wussten, dass es an der Zeit war, eine Entscheidung zu treffen …
»So kommen wir nicht weiter«, fasste Kalliope zusammen.
»Nein«, gab Erik zu. »Was also schlägst du vor?«
»Lass mich gehen«, erwiderte sie.
»Das kann ich nicht. Mein Vater hat befohlen, dich zu ihm zu bringen, und er duldet keinen Widerspruch. Seiner Ansicht nach bist du unsere letzte Sicherheit, ein letztes Faustpfand gegen einen Angriff der königlichen Truppen.«
»Er – will mich als Geisel festhalten?«
»Als Sicherheit«, drückte Erik es freundlicher aus. »Er glaubt, dass man uns nicht angreifen wird, solange du dich in unserer Gewalt befindest.«
»Da irrt er«, widersprach Kalliope. »Wenn die Gilde von eurer Schuld überzeugt ist, wird sie nicht einer Schülerin wegen zögern, sondern ihr Leben für das Allgemeinwohl opfern. Das Schicksal des Einzelnen zählt nicht, von Belang ist nur die Wiederherstellung des Gleichgewichts – so steht es im Codex geschrieben, und es ist unsere feste Überzeugung. Euch bleiben nur zwei Möglichkeiten – die Bedingungen anzunehmen und den königlichen Truppen Zugang zur Stadt zu gewähren …«
»Niemals!« Eriks Gestalt straffte sich, seine Rechte fuhr an den Griff seines Schwertes.
»… oder mich gehen zu lassen, damit ich meine Mitschwestern aufsuchen kann.«
»Und was willst du ihnen sagen?«, fragte Erik bitter. »Dass der Mörder deiner Meisterin in Thulheim weilt?«
Kalliope sah ihn lange an – und entschied mit dem Herzen.
»Nein«, hörte sie sich selbst mit bebender Stimme sagen, noch ehe ihr Verstand dem Entschluss zugestimmt hatte, »ich bin bereit, dir zu glauben. Lass mich gehen, und ich verspreche dir, dass ich mich für Jordråk verwenden werde. Bei alldem kann es sich nur um ein schreckliches Missverständnis handeln, und ich werde alles daransetzen, es aufzuklären.«
Erik biss sich auf die Lippen. »Und mein Vater? Was wird er sagen, wenn ich dich gehen lasse?«
»Es ist nicht seine Entscheidung, sondern deine«, stellte Kalliope klar. »Eine weise Frau pflegte einst zu sagen, dass nur das wahre Leben Meisterschaft hervorbringt, und sie hatte damit recht. Wichtig ist nicht, wer wir sind oder was wir gelernt haben, sondern was wir im entscheidenden Moment tun.«
»Aber wenn ich mich falsch entscheide …«
»Du hast dich bereits entschieden«, war Kalliope überzeugt, »sonst hättest du mich nicht hierhergeführt, sondern gleich zu deinem Vater gebracht.«
Er sah sie unverwandt an, und sie hatte das Gefühl, in der abgründigen Tiefe seiner blaugrauen Augen zu versinken. Eine Kreatur, die keine Seele hatte, sagte sich Kalliope, hätte sie niemals auf diese Weise anzusehen vermocht …
»Also gut«, sagte Erik. »Ich bin einverstanden.«
7. Kapitel
Es war der vierte Tag auf Bazarra.
Die meiste Zeit über hielten sich die Gefährten im Schutz der Höhle auf, die Croy für sie ausgewählt hatte und die sich am Ende eines schmalen Canyons befand, der durch den rötlich braunen Fels des Wüstensplitters schnitt. Jeweils zwei der Gefährten übernahmen eine Wachschicht; zwischen den glatten, sandgestrahlten Felsen des südlichen Canyonrands sitzend, blickten sie hinauf auf die Dünen, die den größten Teil von Bazarra bedeckten und hinter denen sich irgendwo Al Battra befand, die nächstgelegene Siedlung. Wenn überhaupt, war wohl nur von dort ein Angriff zu erwarten, sodass das Versteck gut gewählt war. Jago hatte dennoch etwas auszusetzen …
»Bah«, machte der Chamäleonid, der die Wache zusammen mit Kieron innehatte. Es war nach Mittag, und die Sonne, die erbarmungslos vom blassblauen Himmel brannte, ließ den Sand und die Felsen erglühen. Die Luft ringsum flimmerte, heißer Wind trieb Sand und Staub über die Dünen. »Dieses Klima ist nichts für mich. Ich werde hier noch vertrocknen – und der verdammte Katzmann trägt Schuld daran.«
»Du mmm-magst Croy nicht, oder?«, fragte Kieron, der neben ihm kauerte. Um seine noch immer helle Haut vor der erbarmungslosen Sonne zu schützen, hatte er sich ein Tuch um den Kopf geschlungen.
»Hab keinen Grund dazu. Der Katzmann ist schuld an allem, was geschehen ist. Er war es, der in mein Gasthaus eingedrungen ist und mich bestohlen hat. Nur ihm habe ich es zu verdanken, dass ich beinahe im Kerker geendet wäre. Und nur seinetwegen sitze ich jetzt hier in diesem elenden Glutofen fest.«
»W-w-wir leben«, meinte Kieron, »das ist doch eee-etwas.«
»Ja, aber wie lange noch? Das Wasser, das wir am
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