Splitterwelten 01 - Zeichen
bestellt und weilt nun am Hof des Königs. Sie hat dort großen Einfluss gewonnen und nutzt ihn, um auf der Königswelt für Ordnung zu sorgen.«
»Das verstößt gegen den Codex«, wandte Kalliope ein. »Ist es den Schwestern der Gilde nicht untersagt, sich in Belange der Politik einzumischen? Waren die primae nicht der Ansicht, dass die Gilde dadurch zu mächtig werden und ihre Mitglieder der Macht der hybris erliegen könnten?«
»Was wäre die Alternative?«, fragte Prisca dagegen. »Tatenlos zuzusehen, wie immer noch mehr unserer Mitschwestern spurlos verschwinden oder ermordet werden? Wie die Flamme der Revolte eine Außenwelt nach der anderen erfasst? Wie das Nox immer mehr an Macht gewinnt und die Menschheit in Barbarei und Dunkelheit zurückstürzt?«
»Aber …«
»Wir leben in Zeiten der Veränderung, Schwester. Was wir erleben, ist erst der Anfang.«
»Der Anfang wovon?«
»Vom Ende«, erwiderte Prisca lächelnd. »Wenn wir nichts unternehmen, wird die Gilde untergehen. Die Erhabene Schwester hat das längst erkannt, und es wird Zeit, dass wir uns dieser Herausforderung stellen. Deshalb werden wir ein Exempel statuieren, um eine klare Botschaft ins Sanktuarion hinauszuschicken und zu zeigen, was denen widerfährt, die ihre Hand gegen die Gilde erheben.«
»Wie ich schon sagte«, wandte Kalliope abermals ein, sich mühsam beherrschend, »die Menschen von Jordråk können nichts dafür. Sie bekämpfen die Skolls von alters her.«
»Offenbar nicht entschieden genug«, beharrte Prisca. »Aber auch diesem Mangel werde ich abhelfen.«
»Du?«
»Ich werde Jordråk im Namen des Königs übernehmen«, bestätigte die Freundin, »und zwar so lange, wie es nötig sein wird, um die nokturnen Verschwörer auszumachen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen.«
Kalliope erschrak über die Kälte in ihrer Stimme. Sie erinnerte sich an den Wortlaut des königlichen Dekrets, das Erik ihr gezeigt hatte – und sie begriff …
»Die Inquisitorin … bist du!«
»Ich bekleide lediglich das Amt, das meine Meisterin mir übertragen hat«, entgegnete Prisca mit einer Bescheidenheit, die unaufrichtig wirkte.
»Aber die Inquisition existiert nicht mehr! Sie wurde abgeschafft, schon vor vielen Jahren …«
»Ein Fehler«, konterte Prisca, »denn ganz offenkundig bedürfen wir ihrer, um uns zu schützen. Nur Stärke vermag uns vor dem zu bewahren, was dort draußen auf uns lauert – und die Furcht, die wir verbreiten.« Sie war hinter den Tisch getreten und stützte sich mit den Armen darauf ab, sodass sie in ihrer schwarzen Robe wie ein bedrohlicher Schatten wirkte.
»Das alles klingt weniger nach ihr als vielmehr nach deiner Meisterin«, stellte Kalliope fest.
»Warum auch nicht?« Prisca nickte. »Harona hat sich stets für eine starke Gilde eingesetzt, und sie hatte recht damit. Wohin hat es uns gebracht, den Völkern des Sanktuarions selbstlos zu dienen? Was soll alle Selbstbescheidung, wenn sie unsere Feinde nur dazu ermutigt, uns zu bedrohen? Nur wenn sie uns fürchten, sind wir vor ihnen sicher. Harona weiß das, deshalb hat sie entsprechende Maßnahmen ergriffen.«
»Wovon genau sprichst du?«, wollte Kalliope wissen. Die Art, wie die Freundin sprach, und der seltsame Glanz, den sie dabei in den Augen hatte, gefielen ihr nicht.
»Ich spreche von der reinigenden Kraft des Feuers, von der leuchtenden Botschaft, die es in alle Himmelsrichtungen sendet und die von der Macht und dem Einfluss der Gilde handelt! Ich habe Dinge getan, Kalliope, die du dir noch nicht einmal vorstellen könntest. Dennoch sind sie notwendig und müssen getan werden.«
»Was für Dinge?«
Statt zu antworten, streckte Prisca die rechte Hand aus. Ihre Augen wurden milchig weiß, während eine der Öllampen ihre Halterung verließ und durch die Luft schwebte. »Ich habe gelernt, unsere Fähigkeit anders einzusetzen.«
»Auf welche Weise anders?«
»Wirkungsvoller«, sagte Prisca nur – und die Öllampe wurde von unsichtbarer Kraft zerquetscht. Die Flamme erlosch, das Öl platschte zu Boden und bildete eine kleine Pfütze, in der schließlich auch die Überreste der Lampe landeten.
»Du meinst zur Zerstörung?«, fragte Kalliope unbeeindruckt.
»Ich meine zur Verteidigung«, widersprach Prisca, deren Blick sich wieder geklärt hatte. »Hast du einmal darüber nachgedacht, welche Macht die Gabe der Levitation uns verleihen würde, wenn wir sie frei und ohne Hemmungen benutzten?«
»Das habe ich«, versicherte Kalliope, »und
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