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Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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überleben.«
    Kalliope starrte sie an. »Indem wir die Werte des Codex verraten?«, fragte sie mit bebender Stimme. »Das ist es nicht, was die primae wollten.«
    »Die primae waren nicht allwissend. Sie konnten nicht ahnen, was die Zukunft bringen würde.«
    »Wohl nicht.« Kalliope nickte. Sie schloss die Augen und brauchte einen Moment, um sich zu fassen. »Aber ich werde lieber dem Untergang der Gilde beiwohnen«, sagte sie dann ruhig, aber mit unverhohlenem Trotz, »als ihren Regeln zuwiderzuhandeln.«
    »Muss ich dich daran erinnern, dass du einen Eid geleistet hast? Einen Eid, unsere Gemeinschaft zu schützen und vor Schaden zu bewahren?«
    »Ebenso, wie ich geschworen habe, den Sterblichen zu dienen und meine Fähigkeiten zu ihrem Wohl und zum Erhalt des Friedens einzusetzen.«
    »Was wir tun, dient dem Frieden.«
    »Nein.« Kalliope schüttelte den Kopf so heftig, dass die Feder in ihrem Haar hin- und herflog. »Nur dem, was ihr darunter versteht.«
    Noch einen Augenblick lang starrte Prisca sie über den Tisch hinweg an. Dann richtete sie sich auf, so als hätte sie jedes Interesse an einer Fortsetzung des Gesprächs verloren. »Ich bedaure, dass du es so siehst«, sagte sie. »Aber ich hätte es wohl wissen müssen. Harona hatte mich gewarnt.«
    »Wovor?«
    »Dass ich an dir meine Zeit verschwenden und dir deine Gefühle immer im Weg stehen würden – und Gefühle, wie du weißt, sind ein Feind der Weisheit.«
    »Vielleicht«, räumte Kalliope ein. »Aber sie machen uns auch zu menschlichen Wesen.«
    »Wer hat dir das beigebracht?« Priscas Blick verriet nun unverhohlene Geringschätzung. »Deine Barbarenfreunde? Harona hatte schon geargwöhnt, dass du dich mit ihnen verbünden würdest. Sie sagte, du wärst zu schwach, um über einen längeren Zeitraum hinweg für dich allein zu existieren.«
    »Bist du fertig?« Kalliope setzte alles daran, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr die Worte sie trafen. Harona schien sie komplett durchschaut zu haben – war Kalliope tatsächlich so schwach? War dies der Grund, weshalb Cedara ihr nicht vertraut hatte …?
    Sie verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und schickte sich an, die Kajüte zu verlassen.
    »Wo willst du hin?«
    »Zurück auf meinen Posten«, gab Kalliope zur Antwort. »Mein Platz ist auf Jordråk, solange ich nicht offiziell von dort abberufen wurde.«
    »Das ist soeben geschehen.«
    »Nur der Rat, mit Zustimmung oder im Auftrag der Erhabenen Schwester, kann eine Gesandte entsenden oder zurückrufen.«
    »Oder eine Beauftragte des Rates«, stellte Prisca klar. »Du weißt, dass ich dich nicht nach Thulheim zurückkehren lassen kann.«
    »Dann wirst du mich aufhalten müssen«, konterte Kalliope und wandte sich um. Sie öffnete die Tür, die nicht verschlossen war, und schritt durch den überdachten Aufgang auf Deck zurück, wo noch immer die Gondel stand.
    Prisca schien ihr nicht zu folgen. Zielstrebig trat Kalliope auf die Gondel zu – bis sie bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Das Boot war verlassen, die beiden Einherjar verschwunden. Nur Kapitän Baramiro war noch dort, und seine hageren, sonnengebräunten Züge hatten sich aschfahl eingefärbt.
    »Was …?«
    Sie erkannte, dass er nach oben sah, und folgte seinem Blick – um einen entsetzten Schrei auszustoßen.
    Von der untersten Rah baumelten die nackten, leblosen Körper zweier Männer, die am Halse gehängt worden waren. Ihre Haut war so bleich wie der Schnee auf Jordråks Klippen, ihr langes Haar und ihre Bärte wehten im eisig kalten Wind.
    Urgar und sein Begleiter …
    Kalliope verspürte Übelkeit.
    »Nein!«, rief sie und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. »Neeein …!«
    »Ich ahnte, dass du mich nicht verstehen würdest«, beschied ihr Prisca, die lautlos neben sie getreten war, »deshalb habe ich vorgesorgt.«
    »Aber … warum musstest du sie töten?«
    »Nicht ich habe sie getötet, sondern du. Wärst du nicht so störrisch gewesen, hätten sie nicht sterben müssen. Es ist an der Zeit, dass du erkennst, dass alles im Sanktuarion miteinander verbunden ist – und dass du dich nicht einfach aus deiner Verantwortung stehlen kannst. Die Zukunft gehört denen, die sie zu gestalten wissen.«
    »Sie gestalten? So?« Kalliope deutete auf die Gehenkten.
    »Ihr Beispiel wird anderen als Abschreckung dienen. Sie sind also nicht vergeblich gestorben, wenn es das ist, was dich quält. Die Ziele der Gilde haben Vorrang. Sie sind unendlich wichtiger als das

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