Splitterwelten 01 - Zeichen
seiner Dolche warf und damit einen der Schakalkrieger von den Felsen holte. Die übrigen Legionäre blieben daraufhin auf Distanz, und Kieron und Croy erreichten unbehelligt den schützenden Überhang des Höhleneingangs. Shen und Darg warteten dort bereits, ihre Waffen in den Händen.
»Opossum?«, fragte Shen.
Croy schüttelte nur den Kopf – für Erklärungen blieb keine Zeit. Fürs Erste waren sie den Angreifern entronnen, aber die Ruhe würde nicht von langer Dauer sein.
Die Soldaten der Kaiserin hatten sie entdeckt – und sie würden nicht aufgeben, bis sie die Flüchtlinge entweder wieder gefasst hatten … oder sie alle umgebracht.
Es hatte nur Augenblicke gedauert.
Mit einer Geste hatte Erik Kalliope bedeutet zu schweigen; dann hatte er das Loch im Boden vollends geöffnet und ihr geholfen, zu ihm hinabzusteigen.
Der Sohn des Fürsten hatte die Bodenplatte wieder eingesetzt und den Zugang sorgfältig verschlossen. Unter der Zelle verlief, zu Kalliopes Verblüffung, ein gemauerter Schacht, der nur zwei Ellen breit und gerade so groß war, dass man aufrecht darin knien konnte. Welchem Zweck er einst gedient haben mochte, war nicht festzustellen, aber Kalliope war froh, dass es ihn gab.
Auf allen vieren schlichen sie davon, Erik voraus, die Fackel zwischen den Zähnen, Kalliope hinterdrein. Ihre Robe war ihr beim Kriechen hinderlich, aber die Aussicht, ihrem Gefängnis zu entkommen, verlieh ihr zusätzliche Kraft. Schließlich mündete der Schacht auf einen Gang, der etwas breiter war und höher, sodass man – wenn auch in gebückter Haltung – darin gehen konnte. Nachdem sie ihm eine Weile lang gefolgt waren, brach Erik endlich sein Schweigen.
»Geht es dir gut?«, erkundigte er sich.
Sie nickte. »Was ist geschehen?«, wollte sie wissen. »Wie kommt es, dass du …?«
»Wir haben gekämpft bis zuletzt«, erstattete Erik in aller Kürze Bericht, »aber dann wurde mein Vater verwundet, und man hat uns überwältigt. Meinen Vater haben sie zur Befragung mitgenommen, mich haben sie in eine Kerkerzelle gesteckt. Allerdings«, fügte er grinsend hinzu, »bin ich nicht sehr lange dort geblieben. Ein Glück, dass ich diese Gänge kenne.«
»Das ist wahr.« Kalliope nickte. »Woher stammen sie?«
»Die Herren von Thulheim haben sie einst anlegen lassen. Ein ganzes Netz von Geheimgängen durchzieht die Festung, allerdings sind sie nur wenigen bekannt.«
»Ich verstehe.« Kalliope nickte. Sie hatte sich oft gefragt, wie Erik damals ungehindert in ihr Gemach hatte eindringen können – nun kannte sie die Antwort. »Aber woher wusstest du, in welcher Zelle ich gefangen war?«
»Ich wusste es nicht. Ich hörte Wachen darüber sprechen, dass du festgenommen worden seist, also habe ich nach dir gesucht. Es gibt nur wenige Zellen, die über die geheimen Stollen zu erreichen sind. Wie es heißt, hat einer unserer Vorfahren sie anlegen lassen, weil er eine Revolution fürchtete. Im Fall eines Aufstandes wollte er seinem eigenen Gefängnis entkommen können.«
»Wie konnte er wissen, dass man ihn ausgerechnet in eine dieser Zellen sperren würde?«
Erik grinste. »Es sind die schäbigsten im ganzen Kerker.«
Kalliope lächelte matt. »Dann sollten wir ihm für seine Weitsicht dankbar sein. Und unseren Häschern sollte ich dafür danken, dass sie uns in die miesesten Löcher im Kerker gesteckt haben. Und dir«, fügte sie leise hinzu, wobei sie beschämt den Blick senkte, »danke ich dafür, dass du mich befreit hast, obwohl du keinen Grund dazu hattest.«
»Was ist geschehen, nachdem du Jordråk verlassen hattest?«
»Ich bin einem Geist aus der Vergangenheit begegnet«, erwiderte Kalliope leise. »Einem dunklen Geist …«
»Ich fürchte, diesem Geist bin ich auch begegnet«, knurrte Erik. »Und was ist mit den Einherjar?«
Kalliope schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »O Erik«, gestand sie flüsternd, »du hattest recht, und ich hatte unrecht. Die Gilde ist nicht das, wofür ich sie stets gehalten habe. Da ist zweifellos Licht, und ich wünschte, ich könnte es dir zeigen … aber da ist auch Schatten. Die Schwesternschaft ist in Aufruhr. Unsere Anführerin liegt im Sterben, und Harona, ein Mitglied des Schwesternrates, hat eine neue Inquisition ausgerufen, die die Werte des Codex mit Füßen tritt. Niemals hätte ich geglaubt, dass sie zu so etwas fähig wäre.« Sie unterbrach sich, als ihr die Stimme versagte. »Und da ist Prisca, meine Vertraute und Freundin«, fügte sie flüsternd
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