Splitterwelten 01 - Zeichen
die Lippen, suchte einen Moment lang nach den passenden Worten. »Ich bin unsicher«, gestand sie schließlich. »Wegen der Reise, die uns bevorsteht.«
»Das verstehe ich nur zu gut«, versicherte Cedara, und das nachsichtige Lächeln kehrte in ihr Gesicht zurück. »Schließlich wirst du Ethera zum ersten Mal in deinem Leben für längere Zeit verlassen. Genau wie ich.«
Kalliope blickte ihre Meisterin erstaunt an. »Aber – Ihr seid eine Levitatin …«
»In der Tat, was bedeutet, dass ich schon unzählige Male zu anderen Welten gereist bin und Schiffe dorthin geleitet habe. Jedoch war ich niemals als Prätorin eingesetzt und bin auch nie für längere Zeit dort verblieben – du siehst also, wir haben etwas gemeinsam.«
»Und – wie ergeht es Euch dabei?«, erkundigte sich Kalliope vorsichtig.
Das Lächeln im Gesicht ihrer Meisterin wurde noch ein wenig breiter. »Was glaubst du wohl«, fragte sie, auf die zahlreichen Köcher und Kisten deutend, »weshalb ich all dies mitnehme?«
»Um Euer Wissen zu vertiefen?«
»Unsinn – ich habe jedes dieser Bücher schon ein halbes Dutzend mal gelesen. Es geht mir darum, etwas mitzunehmen, das mir vertraut ist, eine Erinnerung an die Heimat.«
»Ich verstehe«, versicherte Kalliope – derart plumpe Sentimentalität hätte sie ihrer Meisterin nicht zugetraut.
»Außerdem«, fügte Cedara hinzu, »ist Wissen nur eine Quelle der Weisheit, wie du weißt. Kein Buch kann dich so viel lehren wie eine einzige Reise auf den Schwingen des Windes. Diese Mission ist eine große Chance, Kalliope.«
»Das hat Prisca auch gesagt.«
»Dann solltest du auf deine Schwester hören. Sie ist ein ebenso kluges wie starkes Mädchen. Eines Tages wird sie eine große Levitatin werden.«
»Dessen bin ich sicher«, entgegnete Kalliope und musste an die zurückliegende Nacht denken.
»Du hast Angst«, stellte Cedara fest.
»Was?«
»Du sagtest, du wärst unsicher. Aber die Ursache deiner Unsicherheit, du magst es selbst erkannt haben oder nicht, ist Angst. Du fürchtest dich vor dem, was vor uns liegt. Vor dem, was unterwegs geschehen könnte. Was uns erwartet, wenn wir unser Ziel erreichen.«
Abermals senkte Kalliope das Haupt. Sie kam sich ertappt vor, und sie errötete sichtlich. »Ihr kennt mich zu gut, Meisterin.«
»Kein Grund, sich zu schämen«, versicherte Cedara. »Immerhin reisen wir auf eine Welt, auf der eine Angehörige unserer Gilde verschwunden ist. Es wäre also töricht, keine Angst zu haben.«
»Soll das heißen, dass …« – Kalliope blinzelte zaghaft auf – »… dass Ihr ebenfalls …?«
Cedara stellte wieder das alte, sanftmütige Lächeln zur Schau. »Ich bin zu alt, um mich vor den Dingen zu fürchten.«
»Und – als Ihr noch jünger wart?«
»Lernte ich, meine Furcht zu beherrschen«, gab Cedara zur Antwort. »Genauso, wie auch du es eines Tages lernen wirst. Alles, was dafür nötig ist, ist Übung. Also fangen wir am besten gleich damit an.«
»Gleich?«, fragte Kalliope überrascht. Es sah ihrer Meisterin ähnlich, aus Situationen, in denen man es am wenigsten erwartete, eine Lektion zu machen. Aber ganz sicher hatte Kalliope nicht erwartet, an diesem Tag unterrichtet zu werden.
»Siehst du das Schiff dort oben?« Cedara deutete zur gewölbten Decke der Kammer, wo an dünnen Fäden das etwa zwei Ellen lange Modell eines Luftseglers hing. Es war ein Handelsschiff mit drei Hauptmasten und gestaffelten Lateinsegeln an den Seiten, dem Original nachempfunden bis ins Detail.
»Es ist ein Nachbau der Südwind , des allerersten Schiffes, das ich als Levitatin begleitet habe«, erklärte die Meisterin dazu. »Schon am Tag nach unserer Abreise gerieten wir in einen schweren Sturm, und es war fraglich, ob eine ebenso junge wie unerfahrene Levitatin in der Lage sein würde, den entfesselten Naturgewalten zu trotzen. Wie durch ein Wunder ist es mir dennoch gelungen. Zum Dank schenkte mir der Kapitän dieses Modell. Er ließ es von seinem Zimmermann anfertigen, der von Khorat stammte.«
»Ich verstehe«, sagte Kalliope nur. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass das Modell eine so bewegte Vergangenheit hatte. Allerdings hätte ihr die Tatsache, dass es in den vergangenen sieben Zyklen kaum Staub angesetzt hatte, zeigen müssen, dass es ihrer Meisterin wohl viel bedeutete.
»Ich habe beschlossen, das Modell ebenfalls mitzunehmen«, fuhr Cedara fort und deutete auf eine der noch leer stehenden Kisten. »Dort hinein soll es gepackt werden – und du wirst
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