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Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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geraten, und auch die morgendliche Einkehr, mit der die Schwestern der Gilde ihren Tag zu beginnen pflegten und die ihnen helfen sollte, das innere Gleichgewicht zu finden und zu wahren, schaffte keine Abhilfe.
    Während der Morgenmahlzeit, die sich an die Meditation anschloss und die von den Gildeschülerinnen gemeinsam im refectorium eingenommen wurde, hielt Kalliope wieder nach Prisca Ausschau, doch zu ihrer Enttäuschung war die Freundin auch hier nicht anzutreffen – offenbar hatte ihre Meisterin Harona sie bereits zu sich beordert.
    Nach dem Frühstück suchte Kalliope ihre eigene Meisterin auf. Cedara war eine Levitatin ersten Grades und als Mitglied der Gezählten ein geachtetes Mitglied der Gemeinschaft – auch wenn ihre Methoden hin und wieder ein wenig ungewöhnlich waren.
    Die Kammer ihrer Meisterin, in der Kalliope während der vergangenen sieben Jahre viel Zeit verbracht hatte und die ihr deshalb beinahe so vertraut war wie ihre eigene, glich einem Schlachtfeld. Folianten und Schriftrollen waren aus den Regalen geräumt und verpackt worden, ebenso wie die Sammlung an Gesteinen und Kristallen, die die Meisterin von den verschiedensten Welten zusammengetragen hatte, die sie in ihrer Eigenschaft als Levitatin besucht hatte. Wohin man auch blickte, standen lederne Köcher und Kisten, die teils bereits vollgepackt waren, teils aber auch noch ihrer Befüllung harrten, und überall lagen lose Stapel von Schriftstücken und Aufzeichnungen.
    Wenn Kalliope jedoch erwartet hatte, ihre Lehrherrin in entsprechender Unruhe vorzufinden, so hatte sie sich getäuscht. Denn Meisterin Cedara strahlte an diesem Morgen dieselbe unerschütterliche Ruhe aus wie an jedem anderen Tag. In ihrer schlichten blauen Robe, die nur am Saum und an den Ärmeln von Stickereien verziert wurde, die an ihre Heimatwelt Bryca erinnerten, stand die Levitatin inmitten ihrer verstreuten Habseligkeiten. Das lange graue Haar hatte sie zu einem Dutt geformt, in dem eine weiße Feder steckte, eine weitere Reminiszenz an ihre Herkunft. Ihre sanften Gesichtszüge, die trotz ihres Alters noch glatt und jugendlich wirkten, waren entspannt und zeigten jenes ermunternde Lächeln, das Kalliope so an ihrer Meisterin liebte. Die Handflächen hatte sie in einer kontemplativen Geste aneinandergelegt, während sie einen Stapel schwerer Folianten dazu brachte, sich in eine der bereitstehenden Kisten zu senken. Doch obwohl ihre Augen dabei von einem trüben Schleier bedeckt waren, entging ihr nicht, dass sie Besuch erhalten hatte.
    »Da bist du ja, Kind. Hast du gut geschlafen?«
    Kalliope musste lächeln, zum ersten Mal an diesem Morgen. Es sah ihrer Meisterin ähnlich, sich angesichts bevorstehender Pflichten und großer Aufgaben besonders um die kleinen Dinge zu kümmern, die andere leicht übersahen.
    »Ja, Meisterin«, behauptete sie und verbeugte sich zum Gruß, den Cedara erwiderte. Dabei klärte sich der Blick ihrer Augen, und sie musterte ihre Schülerin aufmerksam.
    »Eine freundliche Lüge«, stellte sie unumwunden fest und ohne von ihrem Lächeln zu lassen. »Dennoch eine Lüge.«
    »Was meint Ihr?«
    »Deine Behauptung, dass du gut geschlafen hättest. Alles an dir – von deiner Haltung über deine blasse Gesichtsfarbe bis hin zu den Rändern um deine Augen – deutet darauf hin, dass das Gegenteil der Fall gewesen ist.«
    »Verzeiht, Meisterin.« Kalliope senkte beschämt den Blick. »Es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu belügen. Ich wollte Euch nur nicht mit unwesentlichen Dingen behelligen, wo es doch sehr viel bedeutendere Aufgaben gibt.«
    Cedara seufzte. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du nicht zu entscheiden hast, was unwesentlich ist und was nicht? Von Natur aus kommt allen Dingen dieselbe Bedeutung zu, wie du weißt. Die Menschen entscheiden, was davon wichtig ist und was nicht – und oft genug liegen sie mit ihrer Einschätzung falsch. Die Ursache für eine Störung des Gleichgewichts ist stets darin zu suchen, dass den Dingen und Ereignissen falsche Bedeutung beigemessen wird.«
    »Ich weiß, Meisterin«, versicherte Kalliope in Erinnerung an diesen Lehrgrundsatz, der schon den ganz jungen Novizinnen vermittelt wurde, dessen Anwendung jedoch große Schwierigkeiten bereitete. »Bitte verzeiht Eurer unwissenden Schülerin.«
    »Unsinn«, knurrte Cedara. »Ich habe dich nicht rufen lassen, um dich zu rügen. Ich möchte wissen, wie du dich fühlst – und bitte sei so gut und antworte diesmal ehrlich.«
    Kalliope biss sich auf

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