Splitterwelten 01 - Zeichen
hielt es so unnachgiebig fest, dass es nicht entkommen konnte.
»An meiner Ehre«, schärfte er Jago ein, »ist absolut nichts Lächerliches, hast du verstanden?«
»V-verstanden«, lispelte Jago. Seine Augen wurden immer größer, sein Kehlkopf wanderte geräuschvoll auf und ab.
»Sie ist das Einzige, was mir geblieben ist, und ich werde sie weder eines Menschenjungen noch eines verdammten Chamäleons wegen aufgeben, geht das in deinen hässlichen Schädel?«
»K-klar …«
»Gut«, knurrte der Pantheride mit gefletschten Zähnen. Er ließ Jago los, worauf dieser mit einem pfeifenden Geräusch an der Wand herabrutschte. »Und nun lass uns überlegen, wie wir aus dieser Sache herauskommen – und zwar gemeinsam. Denn wenn du versuchst, dich aus dem Staub zu machen, werde ich dich bei lebendigem Leibe häuten …«
12. Kapitel
Die Reise nach Jordråk dauerte an.
Obwohl seit dem Vorfall in der Schiffsküche drei Tage verstrichen waren, waren Kalliope die grässlichen Bilder und Eindrücke noch immer gegenwärtig. Ganz gleich, ob sie die Augen schloss und Schlaf zu finden suchte oder ob sie an der Reling des Achterdecks stand und in die Weite des Sanktuarions blickte – immer sah sie die beiden Männer vor sich. Sie spürte den Griff, mit dem Edo sie umklammert hielt, fühlte seinen heißen Atem in ihrem Nacken, während sie den anderen Kerl auf sich zukommen sah, wölfische Gier in den Augen.
Und sie sah die Tätowierung auf seiner Brust, die sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte: zwei sich im Scheitel berührende Halbkreise, lotrecht durchkreuzt …
Natürlich hatte sich rasch herumgesprochen, was geschehen war. Kapitän Baramiro, der den Wortlaut des Gildepaktes gut genug kannte, um zu wissen, dass die Bestrafung der beiden Männer rechtens gewesen war, entschuldigte sich zwar und bat Kalliope im Namen der Besatzung um Vergebung, jedoch war ihr der argwöhnische Glanz in seinen Augen nicht entgangen. Und dasselbe Misstrauen hatte Kalliope auch bei den Offizieren und vielen anderen an Bord gesehen.
Zu ihrer Unsicherheit und Furcht gesellte sich noch eine Einsamkeit, wie Kalliope sie noch nie zuvor in ihrem Leben verspürt hatte. Wie sehnte sie sich danach, dass dieser Albtraum endlich enden würde und sie nach Ethera zurückkehren könnte, zurück zu Prisca, deren Freundschaft sie in diesen Tagen so vermisste, dass es wehtat. Und dies umso mehr, da sich auch ihre Meisterin gegen sie gewandt hatte.
Ihrer Pflicht als Schülerin entsprechend hatte Kalliope eingehend über Cedaras Worte nachgedacht, doch anders als die Weisungen des Codex es verlangten, war es ihr nicht gelungen, eine allgemeingültige, der inneren Balance zuträgliche Lehre daraus zu ziehen.
Im Gegenteil.
Je mehr Zeit verstrich und je intensiver sie sich bemühte, die Notwendigkeit von Cedaras Rüge zu erkennen, desto mehr wuchs ihr innerer Widerstand. Kalliope schämte sich, es sich einzugestehen, aber sie fühlte Vorbehalte gegen ihre Meisterin. Das Vertrauensverhältnis, das eine Gildeschwester und ihre Schülerin verband und das die unabdingbare Voraussetzung für die Erlangung der Reife war, hatte Schaden genommen. Nicht länger hatte Kalliope das Gefühl, von ihrer Meisterin verstanden zu werden. Cedara hatte sich verändert.
Dessen ungeachtet versah Kalliope auch weiterhin ihre Pflicht und war auf dem Achterdeck anwesend, während ihre Meisterin das Schiff durch die Klüfte von Malakay trug, vorbei an schwarzen, von Flechten und Moosen bewachsenen Weltensplittern, die von Löchern und Höhlen durchzogen waren – ein wahres Labyrinth, in dessen engen Windungen der Himmel mitunter kaum noch zu sehen war. Nicht selten kam es vor, dass der Fels nur wenige Armlängen vom Rumpf entfernt vorüberglitt, doch mit ruhiger Kraft hielt Cedara die Volanta in der Luft, während Kapitän Baramiros Steuerleute das Schiff mit bewundernswertem Geschick an Felsvorsprüngen und riesigen Stalaktiten vorbeimanövrierten.
»Schülerin?«
Kalliope zuckte zusammen. Cedara hatte in den letzten Tagen kaum mit ihr gesprochen, wohl weil sie ihr hatte Gelegenheit geben wollen, über das Geschehene nachzudenken.
»Meisterin?«
»Komm her, Kind.«
Cedaras Stimme war ruhig, wenn auch ein wenig entrückt, wie es in der Levitation häufig der Fall war. Vergeblich suchte Kalliope darin einen Hauch von Mitgefühl oder gar Bedauern zu entdecken. Ganz offenbar bemerkte ihre Meisterin die Verwirrung nicht, die seit dem Vorfall unter Deck von
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