Splitterwelten 01 - Zeichen
Luft hielten, plötzlich nachgaben. Die Volanta kippte zur Seite, gerade wie das Modell in Meisterin Cedaras Kammer. Schreie erklangen, und ein grässliches Poltern war zu hören, als einige Matrosen den Halt verloren, quer über das Deck stolperten und hart gegen die hölzerne Bordwand schlugen.
»Kalliope!«
Auch Cedaras Ermahnung nützte nichts mehr – obschon sie sich nach Kräften mühte, gewann Kalliope die Kontrolle nicht mehr zurück. Die Quelle der Kraft war ihr verschlossen.
Unerwartet schwankte das Schiff zur anderen Seite. Auf dem Vordeck lösten sich einige Kisten, die nur unzureichend verzurrt gewesen waren, und schlitterten quer über die Planken, eine davon durchschlug die Reling. Die Männer an Bord brüllten auf. Kalliopes Herzschlag hämmerte, das Blut rauschte in ihren Ohren. Das enorme Gewicht des Schiffes drohte sie zu zermalmen, und sie fühlte den Schmerz nicht nur in ihrem Inneren, sondern auch körperlich.
Die Materie hatte den Geist besiegt.
Kalliope hatte versagt.
Ein Schrei, der aus tiefster Seele drang, kam ihr über die Lippen, so verzweifelt und hilflos, dass es sie selbst erschreckte. »Meisterin! Helft mir …!«
Sie merkte noch, wie der Bug des Schiffes nach vorn in die bodenlose Tiefe kippte, hörte die panischen Schreie – dann wurde alles schwarz um sie herum, und sie verlor jedes Zeitgefühl.
»Kalliope?«, drang die Stimme ihrer Meisterin an ihr Ohr. »Kalliope?«
Sie blinzelte und schlug die Augen auf. Helles Tageslicht fiel von der Seite ein und blendete sie, sodass sie eine Hand hob, um sich zu beschirmen.
Sie lag auf den Planken des Achterdecks. Jenseits der Reling war freier, türkisfarbener Himmel zu sehen, was darauf schließen ließ, dass die Volanta das Riff von Malakay hinter sich gelassen hatte, ihrem Versagen zum Trotz.
Ihre Augen brauchten einen Augenblick, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Blinzelnd sah sie an den Gestalten empor, die sie neugierig umlagerten – und las den Vorwurf in ihren Gesichtern. Vom gemeinen Luftschiffer bis hinauf zu Kapitän Baramiro schien jeder zu glauben, dass sie das Schiff absichtlich in die Tiefe stürzen lassen wollte.
»Verzeiht mir«, stieß sie krächzend hervor, aber keiner der Männer erwiderte etwas. Einige wandten sich kopfschüttelnd ab, und andere blieben noch lange genug, um ihr einen abschätzigen Blick zu schenken. Einige schienen gar enttäuscht zu sein, dass sie wieder zu sich gekommen war. Selbst die Offiziere schienen nicht mehr in der Lage zu sein, in ihr noch etwas anderes zu sehen als ein Risiko, einen unerwünschten Gast, den man am liebsten so rasch wie möglich losgeworden wäre. Das, dachte Kalliope beklommen, war also aus ihren Plänen geworden, einst eine geachtete Levitatin zu werden.
Der Kapitän und seine Leute kehrten an ihre Arbeit zurück, bei ihr blieb nur eine schlanke, einsame Gestalt, die sich bislang im Hintergrund gehalten hatte.
»Meisterin Cedara«, sagte Kalliope leise, während sie sich mühsam aufrichtete. Noch immer war sie erschöpft, ihre Muskeln aufgrund der Überanstrengung verkrampft. »Es tut mir leid. Ich habe erneut versagt.«
»Ja«, stellte ihre Meisterin fest. »Das hast du in der Tat. Hätte ich das Schiff nicht abgefangen, wäre es abgestürzt und entweder zerschellt oder in den Mahlstrom gesunken. Für die Besatzung hätte beides den sicheren Tod bedeutet.«
»Ich weiß«, bestätigte Kalliope niedergeschlagen. Sie konnte sich der Tränen nicht länger erwehren. Heiß und brennend stiegen sie ihr in die Augen. »Ich habe mein Gleichgewicht verloren und nicht wiedergefunden.«
»Dessen bin ich mir bewusst, Kalliope. Doch eine Gildeschwester muss in der Lage sein, ihre Empfindungen zu jeder Zeit zu beherrschen, denn nur so kann sie ihre Pflicht erfüllen. Was glaubst du, weshalb uns die Völker des Sanktuarions gleichermaßen mit Bewunderung und Misstrauen begegnen? Weshalb sie uns ebenso verehren, wie sie uns fürchten? Weil wir in der Lage sind, etwas zu tun, wozu sie niemals in der Lage wären, und damit meine ich nicht die Levitation. Sondern die Fähigkeit, den weltlichen Dingen zu entsagen und dem Geist die Oberhoheit über die Materie einzuräumen, in jeder Lage, zu jeder Zeit. Das ist dir nicht gelungen, und deshalb hast du versagt.«
»Ich … ich werde mich bessern«, versprach Kalliope hilflos. Es war nur ein Lippenbekenntnis, aus der Not geboren, schon weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.
»Das hoffe ich, Kind«, entgegnete
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